Germanen

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Als Germanen wird eine Gruppe von ehemaligen Stämmen in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien bezeichnet, deren Identität in der Forschung traditionell über die Sprache bestimmt wird. Kennzeichen der germanischen Sprachen sind unter anderem bestimmte Lautwandel gegenüber der rekonstruierten indogermanischen Ursprache, die als germanische oder erste Lautverschiebung zusammengefasst werden. Das von den Germanen bewohnte Siedlungsgebiet wurde entsprechend von den Römern als Germania magna bezeichnet.

Ab der Zeitenwende prägte der Kontakt mit den Römern die germanische Welt, wie auch die Entwicklung des Römischen Reiches sich zunehmend mit der germanischen Welt verband. In der Spätantike kam es im Verlauf der „Völkerwanderung“ zu weitreichenden Zügen mehrerer germanischer Stämme (gentes), die teilweise größere Verbände bildeten (siehe Ethnogenese), und schließlich zu deren Einfall in das Römische Reich. Ihr Ziel war vor allem Teilhabe am Wohlstand des Imperiums, dessen Strukturen und Kultur sie keineswegs zerstören wollten. Einige dieser Gruppen gründeten Reiche nach antikem römischen Vorbild auf dem Boden des Westreiches, das um das Jahr 476 unterging. Elemente der germanischen Religion und des religiösen Brauchtums wurden unter anderem durch Akkommodation in das angenommene Christentum übertragen. In der neueren Forschung wird dabei die Sammelbezeichnung Germanen zunehmend kritisch gesehen, da die so bezeichneten Gruppen sich niemals als Einheit verstanden hätten, sondern es sich um eine reine Fremdbezeichnung handle, die Unterschiede verwische.

Dieser Artikel beschreibt die allgemeine Geschichte der germanischen Völker, beginnend vor der Zeitenwende, bis in die Spätantike bzw. das beginnende Frühmittelalter. In der Forschung wird auch die Geschichte Skandinaviens bis ins Mittelalter im germanischen Kontext gesehen.

Begriff[Bearbeiten]

Herkunft und Bedeutungsentwicklung in der Antike[Bearbeiten]

Die Herkunft des Begriffs Germanoí (griechisch Γερμανοί), lateinisch Germani ist bis heute nicht zufriedenstellend geklärt. Unklar bleibt ebenso die sprachlich-etymologische Herkunft wie das genaue Alter des Begriffes. In der Forschungsgeschichte wurden sprachliche Wurzeln aus dem Lateinischen, Keltischen und Germanischen diskutiert. Die gelegentlich hergestellte Verbindung mit germanisch *gaizaz, Ger, Wurfspeer‘ gilt heute als widerlegt. Als unwahrscheinlich gilt aus phonetischen Gründen auch die Ableitung von lat. germānus ‚leiblich, echt, wahr‘, die schon Strabon vorschlug.

Der Germanenname bildete in der Antike einen völkerkundlichen Oberbegriff für eine Großgruppe zwischen Kelten und Skythen. Es handelte sich also in der Hauptsache um eine Fremdbenennung bestimmter Völker und nur zum geringeren Teil und wohl erst sekundär um eine Selbstbezeichnung der germanischen Völker für sich selbst. Die rechts des Rheins siedelnden Völker blieben vor Caesars gallischen Feldzügen (58–52 v. Chr.) weitgehend außerhalb des Horizonts der antiken Beobachter und wurden, als man von ihnen erfuhr, zunächst für Kelten gehalten oder zumindest nicht ausdrücklich von diesen unterschieden. Älteste historische Berichte über germanische Kulturen stammen von Begegnungen mit den Griechen und dem Römischen Reich; eigene Schriftzeugnisse wie zum Beispiel Runeninschriften finden sich dagegen erst nach der Zeitenwende. Die Berichte der antiken Autoren zu den Germanen basieren dabei häufig nicht auf eigener Beobachtung, sondern auf Hörensagen. Der griechische Reisende Pytheas aus Massalia berichtete bereits um 330 v. Chr. über die Länder um die Nordsee und die dort lebenden Völker. Die ostgermanischen Bastarnen drangen ab etwa 200 v. Chr. nach Südosten in das heutige Ostrumänien vor und wurden ab 179 v. Chr. in Kämpfe der Makedonen und anderer Völker auf der Balkanhalbinsel verwickelt. Um das Jahr 120 v. Chr. zogen die Kimbern, Teutonen und Ambronen südwärts und brachten den Römern einige ernsthafte Niederlagen bei (Kimbernkriege).

Als ältester Beleg für den Volksnamen werden manchmal die Fasti Capitolini zum Jahre 222 v. Chr. angeführt. Dort ist von einem Sieg des Marcus Claudius Marcellus „de Galleis et Germaneis“ („über Gallier und Germanen“) bei Clastidium die Rede. Allerdings kann es sich bei dieser Erwähnung des Germanennamens auch um eine nachträgliche Umschreibung im Rahmen der augusteischen Fastenredaktion handeln. Die erste zweifelsfreie Verwendung des Germanennamens findet sich um 80 v. Chr. bei Poseidonios.<ref>Poseidonios von Apameia, Historien, Buch 30. Auch der Text des Poseidonios ist allerdings nur durch ein Zitat bei Athenaios (um 190 n. Chr.) belegt. Der Begriff bezog sich zunächst nur auf eine kleine Stammesgruppe im belgisch-niederrheinischen Bereich, deren Gebiet ursprünglich auf rechtsrheinischer Seite lag. Poseidonios schildert, dass diese „Germanen“ als Hauptmahlzeit Glieder gebratenen Fleischs zu sich nähmen und dazu Milch sowie unvermischten Wein tränken, und entsprach damit in gewisser Weise dem Barbarentopos seiner Zeit.

Gaius Iulius Caesar berichtet in seinem De bello Gallico für das Jahr 55 v. Chr. von den links des Rheins siedelnden Belgerstämmen der Remi, Condrusi, Eburones, Caerosi, Paemani und Sequani, dass sie sich Germanen nannten, und bezeichnet diese Stämme (immer den Angaben der mit ihm verbündeten Remer folgend) als Germani cisrhenani, nicht aber die (heute ebenfalls als germanisch geltenden) Atuatuci – die er für Abkömmlinge der Kimbern hielt – und nur mit Einschränkungen die Ambivarites Die Bezeichnung cisrhenani („linksrheinisch“) legt nahe, dass man die so benannten Stämme schon damals von den rechtsrheinischen Germani unterschied.


Im Laufe von Caesars Kriegsbericht wird der Germanenbegriff inhaltlich weiter aufgefüllt bis hin zu seiner umfassenden Erläuterung im Germanenexkurs des sechsten Buchs (53 v. Chr.). Hier verwendet Caesar auch explizit einen erweiterten Germanenbegriff, indem er den Rhein zur Kulturscheide zwischen Galliern am Westufer und Germanen östlich des Stromes erklärt und alles Land östlich davon als Germanien bezeichnet. Der Althistoriker Mischa Meier kommt deshalb zu dem Befund: „Caesar hat die Germanen erfunden“. Ethnisch-kulturelle Kriterien, nach denen Personengruppen objektiv als germanisch oder nicht-germanisch identifiziert werden könnten, gebe es nicht.

Was Caesar dazu bewog, alle östlich des Rheins lebenden Völkerschaften mit Germanen zu identifizieren, ist in der historischen Forschung umstritten. Eine Erklärung könnte sich aus der Absicht des Feldherrn ergeben, den Rhein als Völkergrenze anzunehmen, derart eine tiefe Kluft zwischen Galliern und Germanen postulierend, und so sein militärisches Werk als „Eroberung Galliens“ darzustellen.

In diesem Fall wäre die geographische Unterscheidung von Kelten und Germanen auch politisch motiviert gewesen, konnte sie doch dabei helfen, den Herrschaftsanspruch Roms auf alle linksrheinischen Gebiete zu festigen. Hatte Caesar schon zuvor unterschiedliche Gruppen, die sich selbst als Aquitaner, Kelten und Belger verstanden, vereinheitlichend Gallier genannt, so übertrug er nun den Germanenbegriff auf verschiedene Völkergruppen rechts des Rheins. Eine eindeutige Kulturscheide stellte der Rhein jedoch damals nicht dar, da sowohl östlich davon keltische als auch westlich davon germanische Gruppierungen siedelten, wie schon aus Caesars Bericht hervorgeht. Aus archäologischer Sicht lässt sich lediglich das Gebiet der keltischen oppida in nördlicher und östlicher Richtung abgrenzen. Die Definition Caesars wirkte sich fortan auch in ethnographischer Hinsicht differenzierend aus.

Vor Caesar hatte man angenommen, dass nördlich der Alpen im Westen die Kelten und im Osten – durch den Fluss Tanaïs (heute Don) von jenen getrennt – die Skythen leben. Cicero kannte den Germanenbegriff Caesars im Jahre 56 v. Chr. noch nicht. Aber schon für Pomponius Mela (um 44 v. Chr.) waren die südliche Grenze des Germanengebietes die Alpen, die westliche Grenze der Rhein, die östliche die Weichsel und das Gebiet der Sarmaten, die nördliche die Meeresküste. Noch Strabon beschrieb die Germanen in seiner Geographie (zwischen 20 v. Chr. und 23 n. Chr. verfasst) als ein den Galliern ähnliches Volk. Auch der Zug der Kimbern, Teutonen und Ambronen wurde erst spät als Auftakt zur römisch-germanischen Konfrontation aufgefasst. Zur Zeit ihres Auftretens wurden die Kimbern noch nicht als Germanen identifiziert. Erst Plutarch prägte um 100 n. Chr. die Bezeichnung „Germanen“ auch für den nordseegermanischen Stamm, der zuvor überwiegend für keltisch gehalten worden war. Der römische Historiker Tacitus teilt in seiner ethnographischen Schrift Germania (frühestens 98 n. Chr.) zu den von ihm verwendeten Begriffen Germani und Germania mit:

Zitat
Die Bezeichnung Germanien sei übrigens neu und erst vor einiger Zeit aufgekommen. Denn die ersten, die den Rhein überschritten und die Gallier vertrieben hätten, die jetzigen Tungrer, seien damals Germanen genannt worden. So habe der Name eines Stammes – nicht eines ganzen Volkes – allmählich weite Geltung erlangt: zuerst wurden alle [rechtsrheinischen Völker] nach dem Sieger, aus Furcht vor ihm, als Germanen bezeichnet, bald aber nannten auch sie selbst sich so, nachdem der Name einmal aufgekommen war.

Diese Nachrichten des Tacitus stimmen mit den von Caesar überlieferten Angaben der belgischen Remer aus der Zeit des Gallischen Krieges überein. Demnach wurden die rechtsrheinischen Stämme zuerst von den benachbarten Galliern in einem umfassenderen Sinn als „Germanen“ bezeichnet. Diese Ausweitung des Germanennamens wird heute meist darauf zurückgeführt, dass die Gallier die östlichen Invasoren als fremd oder andersartig empfanden und sich von ihnen abzugrenzen suchten. Die Römer hätten den Germanennamen dann von den Galliern übernommen.