Massenaussterben

Aus Twilight-Line Medien
Version vom 28. April 2024, 15:34 Uhr von Martina (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Im Verlauf der jüngeren Erdgeschichte fanden im Abstand von mehreren 10 Millionen Jahren immer wieder mehr oder weniger stark ausgeprägte Faunenwechsel statt. Diese anhand des Fossilberichtes nachvollziehbaren Ereignisse dienten historisch als Grundlage für die Ziehung der Grenzen zwischen den Epochen des Phanerozoikums in der Geologischen Zeitskala (siehe auch Evolutionsgeschichte). Ab den 1970er Jahren wurde anhand geologischer, paläontologischer und paläoklimatologischer Befunde zunehmend nachgewiesen, dass diese Faunenumschwünge auf drastische Erhöhungen der Aussterberaten zurückzuführen sind, die in einem relativ schmalen geologischen Zeitfenster auftraten.

Die in den vergangenen Jahrzehnten erzielten Fortschritte bei den radiometrischen Datierungs- und Nachweisverfahren führten zu einer erheblichen Zunahme der Messgenauigkeit. Dadurch wurde es möglich, verschiedene Massenaussterben zeitlich genauer einzugrenzen, relativ umfassend zu beschreiben und vorher unbekannte biologische und ökologische Krisen im Laufe der Erdgeschichte zu dokumentieren. In der Wissenschaft besteht kein eindeutiger Konsens bei der Definition eines Massenaussterbens. Einige Publikationen verwenden den Begriff nur bei einem Artenverlust von 75% oder darüber, andererseits wird häufig jeder stärkere Einschnitt in die biologische Vielfalt als Massenaussterben bezeichnet.

Verschiedene Expertengremien gehen davon aus, dass das sechste Massenaussterben in der Geschichte des Lebens bereits begonnen hat. Laut dem im Mai 2019 publizierten Globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrats der UN-Organisation IPBES könnten eine Million Tier- und Pflanzenarten innerhalb der nächsten Jahrzehnte vom Aussterben bedroht sein. Ein direkter Vergleich dieses Massenaussterbens mit früheren erdgeschichtlichen Krisenzeiten ist insofern problematisch, da gegenwärtig anthropogene Faktoren dominieren. Der IPBES-Bericht nennt als Gründe für das aktuelle Aussterben – in der Reihenfolge ihres Ausmaßes – den Verlust von Lebensraum, Veränderungen in der Landnutzung, Jagd und Wilderei, den Klimawandel, Umweltgifte sowie das Auftreten von Neobiota.

Forschungsgeschichtlicher Hintergrund[Bearbeiten]

Aus geowissenschaftlicher Sicht ist der 06.06.1980 ein historisches Datum. Die an diesem Tag veröffentlichte Ausgabe der Fachzeitschrift Science enthielt als Hauptbeitrag einen Artikel mit dem Titel Extraterrestrial Cause for the Cretaceous-Tertiary Extinction (deutsch: Außerirdische Ursache für das Kreide-Tertiär-Aussterben). Als Autoren fungierten der Physiker und Nobelpreisträger Luis Walter Alvarez, sein Sohn, der Geologe Walter Alvarez, sowie die auf dem Gebiet der Kernchemie tätigen Teammitglieder Frank Asaro und Helen W. Michel. Nach den Worten des US-amerikanischen Paläontologen David M. Raup schlug die Alvarez-Studie in der Wissenschaft „wie eine Bombe ein“. Die auf dem Nachweis einer Iridium-Anomalie basierende Hypothese eines Asteroiden-Einschlags an der Kreide-Tertiär-Grenze (heute Kreide-Paläogen-Grenze), der unter anderem die Auslöschung der Dinosaurier bewirkt haben sollte, löste langwierige kontroverse Diskussionen auf Konferenzen und in der Fachliteratur aus. Ein Teil der Ablehnung resultierte aus der Weigerung vieler Forscher, ein Szenario zu akzeptieren, das alle Merkmale eines längst überwunden geglaubten Katastrophismus aufwies.

Dass an den Grenzen beziehungsweise Übergängen der geochronologischen Perioden fast immer ein umfassender Faunenwechsel stattgefunden hatte, war seit dem frühen 19. Jahrhundert bekannt. Erklärt wurden diese biologischen Krisen – in Einklang mit dem Prinzip eines allmählichen Wandels (Aktualismus) – bis weit in das 20. Jahrhundert zumeist mit der Annahme geologischer Prozesse wie Meeresspiegelschwankungen und Kontinentalverschiebungen und damit verknüpften Klima- und Umweltveränderungen über Zeiträume von Jahrmillionen. Zwar äußerten bekannte Wissenschaftler wie der US-amerikanische Nobelpreisträger Harold C. Urey oder der deutsche Paläontologe Otto Heinrich Schindewolf bereits in den 1950er Jahren die Vermutung, dass manche Aussterbe-Ereignisse mit einem Kometeneinschlag beziehungsweise mit den Strahlungsausbrüchen einer erdnahen Supernova in Verbindung stehen könnten, doch ihre Überlegungen fanden in der Fachwelt keine Resonanz.

Hingegen führte die von Alvarez et al. postulierte Katastrophe an der Kreide-Paläogen-Grenze zu einem allmählichen Paradigmenwechsel im Hinblick auf erdgeschichtliche Umbruchzeiten sowie zu einer zunehmend intensiveren Analyse potenzieller Massenaussterben unter Einbeziehung von Forschungsgebieten wie der Geochemie, Mineralogie, Paläontologie, Paläoklimatologie, Sedimentologie, (Event-)Stratigraphie, Vulkanologie, Geophysik sowie des Paläomagnetismus. Als Folge der interdisziplinären Zusammenarbeit wurden multikausale Modelle für Massenaussterben entwickelt, die neben den herkömmlichen Erklärungsmustern auch zusätzliche Faktoren wie Anoxie (das Fehlen von Sauerstoff), Ozeanversauerung, rasche Konzentrationsschwankungen von Treibhausgasen oder den Einfluss von Magmatischen Großprovinzen berücksichtigten. Die Fachliteratur zu diesem Themenbereich hatte sich zwischen 1984 und 2004 annähernd verzehnfacht, mit dem Ergebnis, dass Massenaussterben nicht zwangsläufig an langfristige geologische Abläufe gekoppelt sein müssen, sondern häufig einen katastrophischen und zeitlich eng begrenzten Verlauf genommen haben. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts spricht zudem eine wachsende Zahl von Belegen für die Annahme, dass viele Biodiversitätskrisen mit gravierenden klimatischen Veränderungen und deren Folgen verknüpft waren. Auf dieser Basis entstand ein „Ranking“ der verheerendsten Massenaussterben während der letzten 541 Millionen Jahre.

Zu den sogenannten „großen Fünf“ (auch Big Five) zählen im Einzelnen:

Bei den großen Fünf lag der jeweilige Artenschwund bei wahrscheinlich 70 bis 75 Prozent oder zum Teil darüber. Obwohl gelegentlich eine Revision dieser Gliederung oder eine Neubewertung zugunsten anderer Massenaussterben vorgeschlagen wird (vor allem hinsichtlich des Kellwasser-Ereignisses) sind die Big Five immer noch die inoffizielle Richtschnur bei der Darstellung der schwerwiegendsten biologischen Krisen während des Phanerozoikums. Dies kommt nicht nur in der entsprechenden Fachliteratur zum Ausdruck, sondern wird auch in populärwissenschaftlichen Büchern und Beiträgen häufig thematisiert.

Quellen[Bearbeiten]

  • Matthias Glaubrecht: Das Ende der Evolution: der Mensch und die Vernichtung der Arten. C. Bertelsmann, München 2019, ISBN 978-3-570-10241-1.