Chromosom

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Ein Chromosom (von gr. chrōma ‚Farbe‘ sowie sōma ‚Leib‘) ist ein Träger von Erbanlagen (des Genoms). Chromosomen bestehen aus Desoxyribonukleinsäure (englische Abkürzung: DNA) und verschiedenen Proteinen, insbesondere Histonen. Die DNA enthält genetische Informationen für die Lebensprozesse und die Vererbung von Eigenschaften.

Die Chromosomen eukaryotischer Lebewesen sind in Zellkernen eingeschlossen. Sie sind in der Metaphase einzeln zu erkennen, denn in diesem Stadium des Zellzyklus liegen sie stark verdichtet vor, während die Kernhülle vorübergehend aufgelöst ist. Die Interphase hindurch sind sie dagegen aufgelockert und werden insgesamt als Chromatin bezeichnet. Ein Zellkern enthält jeweils eine arttypische Zahl an Chromosomen, beim Menschen sind es gewöhnlich 46 im diploiden Karyotyp (2n = 46,XX bzw. 46,XY).

Die Zellen der Eukaryoten – zu denen Pflanzen, Pilze, Tiere und so auch Menschen gehören – enthalten außer der chromosomalen DNA im Zellkern zusätzlich DNA in bestimmten Organellen wie Mitochondrien oder Plastiden (siehe mitochondriale DNA und Chloroplasten-DNA), die zirkulär vorliegt.

Zellen von Prokaryoten wie Bakterien haben keinen Zellkern und keine klassischen Chromosomen. Die DNA von Bakterien ist allgemein zirkulär organisiert und wird auch als Bakterienchromosom bezeichnet.

Darstellung im Mikroskop[Bearbeiten]

Die Bezeichnung Chromosom, wörtlich „Farbkörper“, rührt daher, dass die Chromatinstruktur durch basische Farbstoffe leicht anzufärben ist. Die angefärbten Chromosomen sind lichtmikroskopisch ohne spezielle Nachweismethoden nur während der Teilung des Zellkerns zu erkennen. Dann haben sie beim Menschen und vielen anderen Arten ein stäbchenförmiges Aussehen. Diese verdichtete (kondensierte) Form bildet sich zu Beginn einer Kernteilung bei Mitose wie Meiose während der frühen Prophase heraus. In der anschließenden Metaphase werden die stark kondensierten Chromosomen äquatorial angeordnet. Jedes Chromosom besteht in dieser Phase aus zwei gleichen Chromatiden, die durch Replikation entstanden sind. Die Chromatiden liegen parallel nebeneinander und enthalten je eine durchgehende DNA-Doppelhelix. In der Anaphase werden die beiden Chromatiden eines Chromosoms voneinander getrennt und schließlich über die Telophase den sich bildenden Tochterkernen zugeteilt.

Am Ende der Kernteilungen gehen die Chromosomen wieder in einen dekondensierten Zustand über. Erst in dieser Form kann die DNA abgelesen und dann dupliziert werden. Doch lassen sich so die verschiedenen Chromosomen eines Kerns mit klassischen Färbemethoden nicht mehr unterscheiden, da sie ein scheinbar kontinuierliches Chromatin bilden. Mit besonderen Methoden jedoch, wie der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, sind die Chromosomen weiterhin als getrennte Einheiten nachweisbar. Jedes der dekondensierten Chromosomen beansprucht in der Interphase ein Chromosomenterritorium: einen abgegrenzten Bereich innerhalb des Zellkerns.

Forschungsgeschichte[Bearbeiten]

Der Name „Chromosomen“ für die Träger der Erbmasse wurde 1888 von dem Anatomen Heinrich Wilhelm Waldeyer vorgeschlagen, nachdem Walther Flemming einige Jahre zuvor den Begriff Chromatin für die färbbare Substanz im Zellkern eingeführt hatte. Noch 1906 nutzte Oscar Hertwig parallel dazu den Begriff Kernsegmente, welcher verdeutlichen sollte, dass bei der Teilung des Kerns (Mitose) „das Chromatin in Segmente zerlegt wird“. Eine weitere alte Bezeichnung, die ebenfalls eine Weile parallel zu Chromosom benutzt wurde, ist Kernschleife, zum Beispiel bei Karl Heider (1906).

Die Geschichte der Entdeckung der Chromosomen und ihrer Funktion lässt sich nicht von der vorangegangenen Entdeckung des Zellkerns trennen.

1842 beschrieb der Schweizer Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli „transitorische Zytoblasten“ (anfärbbare stäbchenförmige Strukturen im Zellkern von Pflanzenzellen) bei denen es sich vermutlich um Chromosomen handelte. Auch Abbildungen aus den Werken anderer Forscher lassen sich mit heutigem Wissen als Chromosomen bzw. mitotische Zellteilung deuten (Matthias Schleiden 1846, Rudolf Virchow 1857, Otto Bütschli 1873).

1873 beschrieb Anton Schneider an Plattwürmern, dass der Zellkern sich „in einen Haufen feinlockig gekrümmter, auf Zusatz von Essigsäure sichtbar werdender Fäden verwandelt. An Stelle dieser dünnen Fäden traten endlich dicke Stränge auf, zuerst unregelmäßig, dann zu einer Rosette angeordnet, welche in einer durch den Mittelpunkt der Kugel gehenden Ebene (Äquatorialebene) liegt.“ Die „indirekte Kernteilung“ (Mitose) war entdeckt – aber noch nicht verstanden. So ging Walther Flemming 1882 noch davon aus, dass sich die „Kernfäden“ erst während der frühen Phase der Kernteilung aus einem zuvor durchgehenden Faden voneinander trennen. Zwar beobachtete er eine Längsspaltung der Chromosomen zu einem späteren Zeitpunkt (heute als Metaphase bezeichnet), nahm aber an, dass sich ganze Chromosomen (also mit beiden Chromatiden) später (heute: Anaphase) in Richtung der künftigen Zellkerne bewegen. Auch schloss er nicht aus, dass sich Zellkerne zumindest in manchen Fällen auch neu bilden könnten, also nicht durch Teilung aus bestehenden Kernen. 1884 beschrieben dann mehrere Autoren (L. Guignard, Emil Heuser und Edouard van Beneden) die Aufteilung der Chromosomenhälften (heute: Chromatiden) auf die Tochterzellkerne.

Da die Chromosomen während der Interphase nicht sichtbar waren, war zunächst unklar, ob sie sich nach einer Kernteilung auflösen und vor jeder Kernteilung neu bilden oder ob sie im Kern als jeweils eigene Einheiten überdauern. Letztere Idee wurde als Lehre von der Erhaltung der Individualität der Chromosomen bezeichnet und von Carl Rabl vorgeschlagen (1885). Er war auch der erste, der erstens eine konstante Zahl von Chromosomen bei verschiedenen Mitosen eines Gewebes feststellte und zweitens daraus schloss, dass die Chromosomen auch in der Interphase und somit kontinuierlich vorhanden sein müssten. Er ließ aber zunächst noch die Möglichkeit offen, dass diese Zahl in verschiedenen Geweben unterschiedlich sein könnte. Rabl war ebenfalls der erste, der annahm, dass jedes Chromosom im Interphasekern ein eigenes Territorium bildet.

Die Idee der Chromosomenkontinuität fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Ein wichtiger Gegner war Oscar Hertwig (1890, 1917). Theodor Boveri, der um 1890 Chromosomenstudien durchführte, dagegen befürwortete Rabls Ideen und unterstützte sie mit weiteren experimentellen Befunden (1904, 1909). Ebenfalls in den 1880er Jahren entwickelte August Weismann seine Keimplasmatheorie (siehe auch dort), bei der er davon ausging, dass das Erbmaterial (nur) in den Chromosomen lokalisiert sei. Wichtige Schlussfolgerungen waren, dass Vererbung ausschließlich über die Keimbahn stattfinde und dass eine Vererbung erworbener Eigenschaften abzulehnen sei. Was sich später als weitgehend richtig erwies, war damals heftig umstritten. Eine schonungslose Kritik findet sich beispielsweise in Meyers Konversations-Lexikon von 1888 unter dem Stichwort Erblichkeit.

Im Jahr 1900 wurden die Mendelschen Regeln wiederentdeckt und bestätigt. In der Folge entwickelte sich die neue Wissenschaft der Genetik, in deren Rahmen der Zusammenhang von Chromosomen und Vererbung vielfach gezeigt wurde. Beispielsweise konnte Thomas Hunt Morgan 1910 an Drosophila melanogaster den Nachweis führen, dass die Chromosomen die Träger der Gene sind. 1944 zeigte Oswald Avery (siehe dort), dass das eigentliche Erbmolekül die DNA ist, und nicht etwa Proteine in den Chromosomen.

Die weitere Geschichte bis 1950 (Aufklärung der Struktur der DNA) ist im Artikel Chromosomentheorie der Vererbung beschrieben. Eine Zeittafel einiger wichtiger Entdeckungen ist im Artikel Chromatin zu finden.

Im Jahr 2000 haben zwei internationale Wissenschaftlerteams das menschliche Erbgut weitgehend entziffert, im Jahr 2003 waren 99 Prozent sequenziert. Mit dem Chromosom 1 wurde 2005/2006 das letzte der 24 verschiedenen menschlichen Chromosomen genau analysiert (99,99 %). Über 160 Wissenschaftler aus Großbritannien und den USA publizierten diese Gemeinschaftsarbeit.

2014 gelang erstmals das Design und die Konstruktion eines synthetischen Chromosoms, und zwar in der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae.

Aufbau und Struktur der Chromosomen[Bearbeiten]

Bestandteile[Bearbeiten]

Abgesehen von Spezialfällen (siehe Riesenchromosomen unten) enthält ein Chromosom im einfachen Fall einen durchgehenden DNA-Doppelstrang (auch: DNA-Doppelhelix). Der DNA-Doppelstrang wird manchmal auch als DNA-Molekül bezeichnet, obwohl es sich streng genommen um zwei Einzelstrang-Moleküle handelt (siehe Desoxyribonukleinsäure). An den DNA-Doppelstrang lagern sich Histone und andere Proteine an (siehe unten). Die Mischung aus DNA, Histonen und anderen Proteinen wird als Chromatin bezeichnet. Aus einem DNA-Doppelstrang wird durch diese Protein-Anlagerung ein Chromatid aufgebaut. In diesem Fall besteht das Chromosom also aus einem Chromatid. Der beschriebene Fall tritt immer direkt nach einer Kernteilung auf; bei den meisten Tieren und Pflanzen zusätzlich in allen Zellen, die sich nicht mehr teilen können (Ausnahme: Polytänchromosomen bei Insekten, siehe auch unten), und in Zellen, die zeitweilig nicht mehr wachsen, sich also in der G0-Phase befinden (siehe Zellzyklus).

Wenn eine Zelle wächst, um sich später zu teilen, dann muss in einem bestimmten Abschnitt des Zellzyklus (S-Phase) die DNA verdoppelt („repliziert“) werden. Dies ist erforderlich, damit später beide Tochterkerne das ganze Erbgut, also je eine Kopie aller Chromosomen, erhalten können. Nach der DNA-Verdopplung hat jedes Chromosom zwei identische DNA-Doppelstränge. Diese beiden Doppelstränge werden räumlich getrennt voneinander mit Proteinen verpackt: Zwei Schwester-Chromatiden entstehen. Während der Kernteilung (Mitose) werden die beiden Schwester-Chromatiden eines Chromosoms als zwar parallel verlaufende, aber durch eine schmale Lücke getrennte Einheiten mikroskopisch sichtbar (siehe Schemazeichnung rechts und erste Abbildung des Artikels). An einer Stelle, die Centromer oder Zentromer genannt wird, ist jedes Chromosom zu diesem Zeitpunkt schmaler als im sonstigen Verlauf: Hier hängen die Schwester-Chromatiden noch zusammen. Im weiteren Verlauf der Mitose (am Übergang von der Metaphase zur Anaphase, siehe unten) werden die beiden Schwester-Chromatiden getrennt – wobei durch die Trennung zwei Tochterchromosomen entstehen – und auf die neu entstehenden Zellkerne verteilt: Die Chromosomen in diesen neuen Kernen bestehen jetzt wieder aus einem Chromatid. Demnach enthält ein Chromatid immer genau einen DNA-Doppelstrang, während ein Chromosom je nach Phase des Zellzyklus ein oder zwei DNA-Doppelstränge enthält und entsprechend aus einem oder zwei Chromatiden besteht (Ausnahme: die erwähnten Polytänchromosomen, die über tausend Doppelstränge enthalten können).

Durch das Centromer werden die Chromatiden in zwei Arme unterteilt. Je nach Lage des Centromers spricht man von metazentrischen Chromosomen (Centromer in der Mitte), akrozentrischen Chromosomen (Centromer am Ende, der kürzere Arm sehr klein; beim Menschen die Chromosomen 13, 14, 15, 21, 22 und das Y-Chromosom) oder submetazentrischen Chromosomen (Centromer zwischen Mitte und Ende). Der kürzere Arm wird als p-Arm (frz. petit klein), der längere als q-Arm bezeichnet (q folgt im lateinischen Alphabet auf p). Wie in der Schemazeichnung werden Chromosomen generell mit den kurzen Armen nach oben dargestellt.

Die Enden der Chromosomen heißen Telomere (Einzahl: Telomer). Sie enthalten eine kurze, sich identisch wiederholende DNA-Sequenz (beim Menschen TTAGGG). Dort werden die Chromosomen bei jeder Verdopplung ein wenig kürzer. Die Telomere spielen daher bei Alterungsprozessen eine wichtige Rolle. Neben Centromer und Telomeren sind Startpunkte für die DNA-Verdopplung (Replikation) der dritte essentielle Bestandteil eines Chromosoms (siehe ARS-Element).

Beim Menschen enthalten die kurzen Arme der akrozentrischen Chromosomen Gene für die ribosomale RNA. Diese kurzen Arme können in kondensierten Metaphasechromosomen durch einen Satelliten verlängert sein, so dass Satellitenchromosomen (SAT-Chromosomen) vorliegen (nicht zu verwechseln mit Satelliten-DNA). Die Gene für die ribosomale RNA liegen in vielen, tandemartig hintereinanderliegenden Kopien vor. Im Interphase-Zellkern bildet sich an diesen der Nucleolus. Daher werden sie auch als Nucleolus-organisierende Regionen (NOR) bezeichnet.