Y-Chromosom

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Das Y-Chromosom ist ein Geschlechtschromosom (Gonosom). Es bewirkt die Ausbildung des männlichen Phänotyps.

Bei vielen Arten wird das Geschlecht eines Individuums durch eine chromosomale Geschlechtsbestimmung festgelegt. Wenn in weiblichen Individuen zweimal das gleiche Chromosom (homozygot; XX) und in männlichen Individuen zwei unterschiedliche Chromosomen (hemizygot; XY) vorkommen, heißen diese per Definition X-Chromosomen und Y-Chromosomen.

Das XX/XY-System der Geschlechtsdetermination kommt bei Säugetieren (Theria, d. h. Beuteltiere und Höhere Säugetiere (Eutheria), nicht aber bei Eierlegenden Säugetieren), einigen Insektenarten und noch einigen anderen Tiergruppen vor (siehe Geschlechtschromosom). Bei manchen Lebewesen wie den Vögeln besitzen dagegen männliche Individuen zwei gleiche Z-Chromosomen und weibliche je ein W- und ein Z-Chromosom.

Theorie der Entstehung des Y-Chromosoms bei Säugetieren[Bearbeiten]

Zum Y-Chromosom existiert im diploiden Chromosomensatz kein vollkommen homologes Chromosom. Es hat nur ein Drittel der Größe des X-Chromosoms und kann nur auf fünf Prozent seiner Länge (in den Telomer-nahen pseudoautosomalen Regionen) mit dem X-Chromosom rekombinieren, obwohl es noch zahlreiche Gene des allgemeinen Stoffwechsels aufweist, die auch auf dem X-Chromosom zu finden sind. Viele Gene des Y-Chromosoms haben aber kein Gegenstück auf dem X-Chromosom. Es sind vor allem Gene der Spermienproduktion. Aufgrund der Kenntnis der Basensequenz des menschlichen Genoms durch das Humangenomprojekt lässt sich ein Entwicklungsweg dieses Chromosoms konstruieren.

Die gängigste Theorie zur Entstehung des Y-Chromosoms bei Säugetieren besagt, dass die beiden Gonosomen X und Y das Ergebnis von Mutationen in einem gemeinsamen Vorläuferchromosom (das jeweils analog den Autosomen diploid vorlag) sind. Dieses enthielt die Gene, die zur Ausbildung beider Geschlechter notwendig sind; für die Differenzierung zum männlichen und weiblichen Geschlecht waren exogene Einflüsse wie die Temperatur verantwortlich. Der entscheidende Schritt seien Mutationen gewesen, die einem dieser Chromosomen Gene einbrachten, die eindeutig für die Entwicklung hin zum männlichen Geschlecht verantwortlich gemacht werden können. Gleichzeitig müssen diese Mutationen dazu geführt haben, dass sich die beiden Geschlechtschromosomen in ihrer Sequenz so stark unterschieden, dass eine Rekombination zwischen ihnen ausgeschlossen wurde, so dass das neue Männlichkeitsgen nicht auf das unmutierte Geschlechtschromosom verschoben werden konnte. Diese „große“ Mutation soll eine Inversion auf dem langen Arm des Y-Chromosoms gewesen sein. Es entstand das SRY-Gen (sex determinating region on Y chromosome), das für den testis determinating factor (TDF) codiert; durch die Inversion wurde die Paarung mit dem vormals homologen Bereich auf dem nicht-mutierten Chromosom verhindert.

Das Geschlecht eines Individuums auf diese Weise zufällig zu bestimmen, hat den Effekt der relativen Ausgeglichenheit der Geschlechterverteilung, während zuvor Populationen mit einem stark verschobenen Geschlechterverhältnis möglich waren.

Im weiteren Verlauf habe das Y-Chromosom immer wieder Gene verloren, die nicht mit der Entwicklung des männlichen Geschlechts assoziiert waren, während sich andererseits Gene, die beispielsweise Bedeutung für die Fruchtbarkeit der Männchen hatten, mehr und mehr auf dem Y-Chromosom versammelten. Allerdings existieren nach wie vor auf X und Y homologe Gene, welche letztlich auch die Basis der gesamten Theorie des gemeinsamen Vorläuferchromosoms sind.

Mit dem Verlust autosomaler Gene allein auf dem Y-Chromosom ging allerdings einher, dass zwischen männlichen und weiblichen Mitgliedern einer Spezies beträchtliche Unterschiede in der Aktivität jener Gene entstanden, die nun nur noch auf dem X-Chromosom vorlagen (Frauen haben die doppelte Gen-Dosis und somit theoretisch die doppelte Genaktivität). Da aber jede Frau eines dieser X-Chromosomen auch wieder an einen Sohn weitergeben können muss, musste eine Lösung des Dosisproblems gefunden werden, die für beide Geschlechter gleichermaßen funktioniert.

Zum einen finden sich in den Theria (d. h. Beuteltieren und Höheren Säugetieren) viele Gene des ehemaligen gemeinsamen Vorläuferchromosoms auf Autosomen – so besitzen männliche und weibliche Individuen jeweils die gleiche (diploide) Gendosis. Zum anderen wird in jeder weiblichen Zelle eins der beiden X-Chromosomen inaktiviert (siehe Barr-Körperchen). Allerdings betrifft diese Deaktivierung offenbar nicht alle Gene auf dem betreffenden X-Chromosom, so dass Frauen zum Teil doch eine höhere Genaktivität aufweisen, was gern auch populärwissenschaftlich zur Erklärung einiger geschlechtsspezifischer Unterschiede (wie der höheren Sprachbegabung und dem ausgeprägteren Sozialverhalten von Frauen im Vergleich zu Männern) herangezogen wird.

Schließlich hat die Evolution vom gemeinsamen Vorläuferchromosom hin zum X-Y-System auch Nachteile für die männlichen Individuen einer Spezies. Denn X-chromosomal-rezessive Gendefekte, die bei Frauen meist durch die zufällige Inaktivierung eines X-Chromosoms wenig ins Gewicht fallen, können beim männlichen Genotyp nicht kompensiert werden. Ein Beispiel: Eine Mutation auf dem X-Chromosom führt zur Rot-Grün-Blindheit. Frauen besitzen durch die zufällige Inaktivierung eines X-Chromosoms also rot-grün-empfindliche und -unempfindliche Rezeptorzellen in der Netzhaut. Söhne dieser Frauen (Konduktorinnen) haben das 50-prozentige Risiko, das defekte X-Chromosom der Mutter zu erben, und können diesen Defekt dann auch nicht kompensieren. So treten heterozygote Mütter bei X-chromosomal rezessiv vererbten Erkrankungen immer als klinisch nicht oder nur milde betroffene Überträgerinnen auf.

Quellen[Bearbeiten]

  • S. Sun, J. Heitman: Should Y stay or should Y go: the evolution of non-recombining sex chromosomes. In: BioEssays : news and reviews in molecular, cellular and developmental biology. Band 34, Nummer 11, November 2012, S. 938–942