Gotthardtunnel

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Der Gotthardtunnel (Galleria del San Gottardo) wurde unter den Gipfeln des Gotthardmassivs in Nord-Süd-Richtung gebaut. Der 15.003 Meter lange Eisenbahntunnel liegt zwischen den Ortschaften Göschenen im Kanton Uri und Airolo im Kanton Tessin.

Am 13.09.1872 begannen die Bauarbeiten am Nordportal und am 24.09.1872 am Südportal. Der Tunnel wurde im Firststollenverfahren gebaut. Am 29.02.1880 erfolgte der Durchstich. Die Abweichung betrug seitlich nur 33 Zentimeter und in der Höhe 5 Zentimeter.

Bei den Bauarbeiten kamen offiziell 199 Menschen ums Leben. Die Unfallliste notiert dass 53 Arbeiter von Wagen oder Lokomotiven zerquetscht, 49 von Felsen erschlagen und 46 durch Dynamit getötet wurden. 23 kamen auf andere Art ums Leben, ein Arbeiter ertrank. Viele Männer starben im Laufe der folgenden Jahre an den Spätfolgen von Unterernährung, Krankheit und Verletzungen die sie sich während des Baus zugezogen hatten. In der Auflistung sind zahlreichen Opfer nicht erfasst, da sie nach Verletzung oder Krankheit einfach nach Hause geschickt wurden und dort starben.

Tunnelbau[Bearbeiten]

Vorgeschichte[Bearbeiten]

Sofort nachdem der Bahnbau in den nichtalpinen Gebieten Europas begonnen hatte, kam in der Schweiz der Gedanken auf, den Norden mit dem Süden Europas durch einen Alpenbahn zu verbinden. Schon 1847 reicht der damalige Oberingenieur des Kantons Kanton Graubünden ein Konzessionsbegehren für den Bau einer Lukmanierbahn von Chur nach Biasca ein. 1853 wurde die Konzession erteilt, verfiel dann aber durch Fristablauf.

Gottlieb Koller, der Leiter des eidgenössischen Eisenbahnbüros, stellte 1852 ein erste Projekt zum Bau einer Eisenbahnlinie durch das Gotthardmassiv vor, am 19.08.1953 organisierte sich ein erstes aus 9 Kantonen bestehendes Gotthardkomitee. Koller erarbeitete ein erstes Projekt für die Strecke von Flüelen an den Lago Maggiore (123 km) aus. 1861 vermass der Züricher Ingenieur Kaspar Wetli die Strecke von Erstfeld nach Lugano in nur 5 Monaten. Diese Leistung gilt heute noch als Meisterleistung der Vermessungstechnik.

Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gotthardbefürwortern und Verfechtern der Lukmanier- und Splügenvariante wurde 1863 von den Ingenieuren Wetli und Koller erstmals die Idee eines Tunnels unter dem Gotthard präsentiert. Auch Alfred Escher, der Präsident der in Zürich ansässigen Schweizerischen Nordostbahn (NOB), befürwortete die Linienführung über den Gotthard, die Entscheidung war gefallen. Die Strecke über den Gotthard die kürzeste. "Ich habe schon seit längerer Zeit die Überzeugung gewonnen, dass in Folge der Gestaltung des Eisenbahnnetzes der Schweiz & unserer Nachbarländer eine Eisenbahn über den Gotthard den Interessen Zürich’s & der Nordostbahn viel förderlicher wäre als eine Eisenbahn über einen Bündtnerischen Alpenpaß."

15 Kantone und die beiden Bahngesellschaften Schweizerische Centralbahn (SCB) und Nordostbahn (NOB) gründeten am 07.08.1863 die große Gotthardvereinigung. Alfred Escher, Politiker und Bankier, die wohl einflussreichste Schweizer Persönlichkeit seiner Zeit, wurde Präsident des Komitees und damit zum umtriebigen Vertreter der Gotthardidee. Das auf den Plänen Wetlis uns Kollers basierende Projekt wurd in Folge von Anton Beckh und Robert Gerwig vorangetrieben. Aus ihr heraus und basierend auf ihrem Vermögen wurde 1871 in Luzern die Gotthardbahn-Gesellschaft (GB) als internationale Aktiengesellschaft gegründet.

An der Berner Gotthardkonferenz vom September 1869 unter dem Vorsitz des Bundesrates Emil Welti wurde festgehalten: Es sollte eine durchgehende doppelspurige Adhäsionsbahn gebaut werden mit einer maximalen Steigung von 26 ‰, in Tunneln 23 ‰ und einem minimalen Kurvenradius von 300 Metern. Ein Scheiteltunnel sollte Göschenen und Airolo verbinden. Die Kosten für die Gotthardstrecke sollten 187 Millionen Franken betragen, davon rund 60 Millionen für den Tunnel. Italien sollte 45 Millionen, das neue Deutsche Reich und die Schweiz je 20 Millionen übernehmen, der Rest sollte am Kapitalmarkt aufgenommen werden. Der Deutsch-Französische Krieg verzögerte die Unterzeichnung vorerst. 1869 unterschrieben die Schweiz und Italien den sogenannten Gotthardvertrag von 1871 und am 28.10.1871 schliesslich auch das Deutsche Reich.

Am 06.12.1871 wurde die Gotthardbahngesellschaft ebenfalls unter dem Präsidium Alfred Eschers gegründet. Die finanzielle Kontrolle über die internationale Finanzierung hatte Escher, der 1856 die Schweizerische Kreditanstalt gegründet hatte, welche bei der Finanzierung der Gotthardbahn eine wichtige Rolle spielte.

Projekt[Bearbeiten]

Nach einer äusserst kurzen Eingabefrist von sechs Wochen trafen sieben Offerten ein. Den Zuschlag erhielt die Genfer Firma «Entreprise du Grand Tunnel du Gothard» des Louis Favre. Am 07.08.1872 wurde der von Escher aufgesetzte Vertrag unterzeichnet. Der grösste Konkurrent war die italienische Firma «Società Italiana di Lavori Pubblici» unter der Leitung von Severino Grattoni. Grattoni hatte bereits den mit 12 km längsten Tunnel der Welt erstellt, den Mont-Cenis-Eisenbahntunnel. Auch mit dem Gotthard hatte er sich beschäftigt, hatte die Geologie geprüft und Probebohrungen vorgenommen.

Favre, der bisher keinen Tunnel gebaut hatte, der länger war als 1000 Meter, unterbot den Mitkonkurrenten, akzeptierte die ruinösen Vertragsbedingungen und hinterlegte eine Kaution von 8 Mio. Franken. Er versprach eine Bauzeit von acht Jahren, angesichts der unbekannten Geologie ein riskantes Unterfangen. Falls die vereinbarte Bauzeit überschritten würde, drohte eine Geldstrafe von 5000 Franken täglich im ersten halben Jahr und 10'000 Franken in der folgenden Zeit, im Falle einer vorzeitigen Fertigstellung galt der gleiche Betrag als Prämie. Sollte die Verzögerung mehr als ein Jahr betragen, würde die hinterlegte Kaution verfallen. Favre hoffte darauf, die beim Bau des gerade fertiggestellten Mont-Cenis-Tunnels gemachten Erfahrungen nutzen zu können. Zudem stellte er dortige Mineure und Ingenieure ein und kaufte das dort verwendete Tunnelmaterial auf.

Bau[Bearbeiten]

Allgemein[Bearbeiten]

Die Bauarbeiten begannen am Südportal am 13.09.1872 und am 24.10. desselben Jahres im Norden. Die Bautrupps bewegten sich im Firststollenverfahren (Belgische Bauweise) aufeinander zu, gearbeitet wurde in drei Schichten rund um die Uhr.

Besonders auf der Südseite kämpfte man schon am Anfang mit grossen technischen Schwierigkeiten. Die Belastungen durch instabile Gesteinsschichten, die häufig, manchmal alle paar Dutzend Meter, ihre Beschaffenheit wechselten, sowie ständige Wassereinbrüche waren enorm und hielten während der ganzen Bauzeit an, zudem stieg die Temperatur im Tunnel stellenweise auf 33 °C, später auf 40 °C. Ende 1872 war im Norden der Firststollen erst zu 101 m ausgebrochen, im Süden wurde in Handarbeit nur 18 m vorgestossen.

Der Bauunternehmer Louis Favre übernahm die ersten Bohrmaschinen Typ Sommeiller vom Mont-Cenis-Tunnel. Dazu erprobte er die wichtigsten erhältlichen Schlagbohrmaschinen vor Ort. Die beiden Werkstattchefs in Airolo und Göschenen entwickelten die vorhandenen Maschinen weiter: Die Maschinen sollten weniger reparaturanfällig werden und die Schlagbohrmaschinen mit einem automatischen Vortrieb versehen. Seguin und Ferroux, die beiden Werkstattchefs, konnten einen signifikanten Fortschritt erzielen: Zu Beginn mussten pro Tag drei Maschinen ausgewechselt werden, gegen Ende des Baus nur noch eine Maschine alle drei Tage. Die Abluft der pneumatischen Schlagbohrmaschinen diente gleichzeitig der spärlichen Belüftung des Tunnels. Je sechs Bohrmaschinen waren auf Lafetten montiert. Mit den Maschinen wurden zirka einen Meter tiefe Löcher gebohrt, die anschliessend mit Dynamit gefüllt und gesprengt wurden. Die Nachfrage nach Dynamit war so gross, dass in Bauen am Urnersee eine Sprengstofffabrik gebaut wurde.

Eine unzureichende Lüftung erschwerte das Atmen im mit Sprenggasen gefüllten Tunnel: wenn zu wenig Druck vorhanden war, wurde die Maschine bevorzugt, die Lüftung musste warten. Weil die giftigen Dynamitdämpfe Krankheiten in Atemwegen und Augen verursachten, musste die Schichtdauer auf fünf Stunden herabgesetzt werden. Obwohl leistungsfähigere Maschinen aus Belgien eingesetzt wurden, geriet Favre mit seinem Zeitplan mehr und mehr in Rückstand, nach einem Jahr war noch nicht ein einziger Kilometer im Teilprofil geschafft. Favre trieb den Vorstoss schnell voran und vernachlässigte den Vollausbruch. Später kam erschwerend dazu, dass unter dem unterschätzten Bergdruck sämtliche Holzstützen brachen und jeder ausgebrochene Meter sofort ausgemauert werden musste.

1873 beauftragte Oberingenieur Robert Gerwig der Gotthardbahn-Gesellschaft den deutschen Bergingenieur Friedrich Moritz Stapff für die Bearbeitung aller erforderlichen geologischen Untersuchungen. Zuerst war er der Bausektion Airolo zugeteilt, später wurde er Vorstand der geologisch-montanistischen Abteilung bei der Zentralbauleitung in Airolo. Die Aufgaben von Stapff umfassten die Nachführung der bestehenden geologischen Karten, die Beobachtung der geologischen Verhältnisse, wie Temperaturverhältnisse, Wassereinbrüche, Zustand des Felsens, damit der Bau nicht verzögert wurde. Stapff zeichnete alle Gesteinsformationen entlang der Tunnelachse auf und sammelte pro Gesteinsformation ein Handstück. Eine dieser Sammlungen befindet sich heute im Verkehrshaus.

Favre erhöhte die Zahl der Arbeiter ständig. In Göschenen arbeiteten maximal 1645, in Airolo 1302 Arbeiter, vorwiegend Italiener aus den armen ländlichen Gegenden des Piemont und der Lombardei. Die Mineure und Arbeiter lebten in schmutzigen und überbelegten Verschlägen und wurden finanziell ausgebeutet. Ein Mineur verdiente in einer Achtstundenschicht etwa 3.90 Franken. Zwei Drittel dieses Lohnes wurde für Essen und Unterkunft wieder abgezogen, die Lampen und das Öl dafür, 30 Rappen täglich, mussten sie davon selber bezahlen. Abgezogen wurden ihnen zudem fünf Franken monatlich für die Kleidung und zwei Franken für die Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz. Ein Teil des Verdienstes wurde in Coupons ausbezahlt, die nur in den betriebseigenen Geschäften eingelöst werden konnten.