Neugotik

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Die Neugotik, auch Neogotik oder englisch Gothic Revival genannt, ist ein auf die Gotik zurückgreifender historistischer Kunst- und Architekturstil des 19. Jahrhunderts. Die Neugotik zählt zu den frühesten stilistischen Unterarten des Historismus, der auf Kunst- und Architekturstile der vorausgegangenen zwei Jahrtausende zurückgriff.

Im Mittelpunkt der Verbreitung der Neugotik stand ein umfassendes Bau- und Einrichtungsprogramm, das bis in die Literatur und den Lebensstil Einzug hielt. Die Formensprache der Neugotik orientierte sich an einem idealisierten Mittelalterbild. Ihre Blüte hatte sie in der Zeit von 1830 bis 1900. Unter der Auffassung, an Freiheit und Geisteskultur mittelalterlicher Städte anzuknüpfen, errichtete man in neugotischem Stil vor allem Kirchen, Parlamente, Rathäuser und Universitäten, aber auch andere öffentliche Bauten wie Postämter, Schulen, Brücken oder Bahnhöfe.

Nach Erwin Panofsky war das Gothic Revival von einer romantischen Sehnsucht nach einer nicht mehr zurückzuholenden Vergangenheit geprägt, wohingegen die Renaissance danach getrachtet habe, dem Alten eine neue Zukunft abzugewinnen.

In Deutschland erlosch die Neugotik weitgehend mit dem Ersten Weltkrieg, wurde aber danach teilweise vom Heimatschutz-Stil sublimiert. In manchen anderen Ländern wurden neugotische Kirchen vereinzelt noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts errichtet.

Gothic Revival in Großbritannien[Bearbeiten]

Das Gothic Revival im Sinne einer Besinnung auf ältere Gotik begann in Großbritannien schon, während man noch im Anschluss an den Tudorstil spätgotische Formen weiterverwendete, was als Gothic Survival (Nachgotik) bezeichnet wird. Die Kathedrale von Dromore in der (nord-)irischen Grafschaft Down wurde ab 1661 dezidiert in Formen des frühgotischen Early English Style errichtet.

Neben enger Orientierung an mittelalterlichen Vorbildern wurden Bauten errichtet, deren Proportionen dem Rokoko oder dem Klassizismus entsprachen, die aber mit gotischem Dekor ausgestattet waren. Im Englischen wird dieser Stil als Gothick (mit ‚-ck‘) bezeichnet.

Typische Wohnbauten aus der Frühzeit der Neugotik sind das Landhaus Strawberry Hill (Umbau ab 1749) des Schriftstellers und Politikers Horace Walpole und das Landhaus Fonthill Abbey des Exzentrikers William Beckford (1790er Jahre).

Aber erst in den 1830er Jahren war der maßgebliche Durchbruch zu verzeichnen. Wie Günther Binding in seinem Buch über Maßwerk erwähnt, war im 19. Jahrhundert die englische Erforschung der Architekturgeschichte wesentlich durch das Bestreben motiviert, mittelalterliche Gotik stilecht nachzubauen. Nach 1830 wurde zum Beispiel der Palace of Westminster (1840–1860) von Sir Charles Barry (1795–1860) unter Mitarbeit von Augustus Welby Pugin (1812–1852), eines weiteren führenden Neugotikers Großbritanniens, errichtet. Ein weiterer früher Vertreter der Neugotik in Großbritannien war der Schotte James Gillespie Graham (1776–1855), der vor allem Gebäude im Scottish gothic style, der schottischen Spielart der Neugotik, entwarf. Spätere Nachfolger waren George Gilbert Scott (1811–1878) und John Loughborough Pearson (1817–1897).

Noch nach Mitte des 20. Jahrhunderts erhielten in England mittelalterliche Kirchen neugotische Erweiterungen, das konnte ein zusätzliches Seitenschiff sein, oder ein großer mehrschiffiger Neubau an einem kleinen einschiffigen Ausgangsbau.