Säuren

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Säuren sind chemische Verbindungen, die in der Lage sind, ein oder auch mehrere ihrer gebundenen H-Atome als Proton (H+) an einen Reaktionspartner zu übertragen, der für jedes zu bindende Proton ein freies Elektronenpaar zur Verfügung stellen muss. Dies wird als Protonenübertragungsreaktion bezeichnet. Dementsprechend werden die Moleküle, die Protonen binden können, auch als Protonenakzeptoren bezeichnet. Zu bedenken bleibt, dass an unterschiedliche Atome gebundene H-Atome auch unterschiedlich leicht als Protonen abgegeben werden können. Pauschal wird dann von mehr oder weniger stark sauren Protonen oder Verbindungen gesprochen. In rein wässrigen Lösungen steht als Reaktionspartner, der die Protonen aufnehmen kann, nur das Lösungsmittel Wasser zur Verfügung. Es bilden sich dann Oxonium-Ionen, die auch Hydroniumionen genannt werden (H3O+), und der pH-Wert der Lösung sinkt. Säuren reagieren mit sogenannten Basen unter Bildung von Wasser und Salzen. Eine Base ist somit das Gegenstück zu einer Säure und vermag die Säure zu neutralisieren.

Im weiteren Sinn beschreiben verschiedene Säure-Base-Konzepte wesentlich breitere Paletten von chemischen Reaktionen, die weit über die bisher erwähnten Reaktionen hinausreichen können.

Geschichte[Bearbeiten]

Das Wort „Säure“ selbst (lateinisch: acidum) ist im Sprachgebrauch sehr alt und wurde zuerst als Sammelbezeichnung für saure Pflanzensäfte angewendet. Die wohl älteste bekannte Säure (lat. acidum) ist Essig (lat. acetum), eine etwa fünfprozentige wässrige Lösung der Verbindung Essigsäure. Bei den Griechen und Römern war das Wort für «sauer» (oxys bzw. acidus) von dem für Essig (oxos bzw. acetum) abgeleitet, eine Säure (lat. acidum) also etwas Essigartiges. Saure Pflanzensäfte wurden bis in die Neuzeit als eine Art Essig betrachtet bzw. wurde in der Pflanze ein gewisser Essiggehalt angenommen. Dies führte dazu, dass sich die Konzeption einer Universalsäure oder eines Säurestoffs bilden konnte, die alle Säuren als Varianten einer einzigen Ursäure betrachtete. Die hervorstechendste Eigenschaft der Säuren bestand in ihrer Auflösungswirkung bzw. im Aufschäumen mit kalkhaltigen Stoffen (Kalk bzw. Carbonate) sowie in ihrer ätzenden Wirkung und dem brennenden Geschmack. Die wichtigsten Mineralsäuren waren etwa seit 1200 bekannt, und bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wurden Säuren allein durch ihren sauren Geschmack, ihre Wasserlöslichkeit und ihr großes Auflösungsvermögen charakterisiert. Robert Doyle gab eine Reihe anderer Kennzeichen für Säuren (Pflanzenfarbstoffe, Na2S2 usw.) an und entwarf die Vorstellung, dass die spitze Form der Säureteilchen die Ursache für deren saure Eigenschaften, wie etwa den stechenden Geschmack, darstellten. Andere (Johan Baptista van Helmont und der westfälische Chemiker Otto Tachenius) legten im Gegensatz zu Doyle besonderes Gewicht auf die Fähigkeit der Säuren, Alkalien oder alkalische Erden unter Salzbildung zu neutralisieren. Tachenius fasste Säure und Base als zwei gegensätzliche Prinzipien auf. Als Folge wurde Kieselerde zu den Säuren gezählt, weil sie beim Schmelzen mit Alkali ein wasserlösliches, salzähnliches Glas liefert (Wasserglas), aus dem die Kieselsäure mit einer stärkeren Säure ausgetrieben werden kann. Franciscus Sylvius äußerte um 1660 in mehreren Schriften die Vermutung, die Säuren erhielten ihre Eigenschaften durch einen Gehalt an Feuermaterie, ebenso wie die Alkalien. Boyles mehr spekulative Vorstellungen über die Form der Säuren wurden von anderen Forschern weiterentwickelt und erreichten ihren Höhepunkt mit Nicolas Lémery, welcher meinte, dass alle Basen poröse Körper seien und das der Neutralisationsprozeß zwischen einer Säure und einer Base einfach darin bestünde, dass die Säurespitzen in die Poren der Basenstoffe eindringen. Eine analoge Annahme vertrat auch John Mayow, der aber darüber hinaus noch einen gemeinsamen Bestandteil aller Säure postulierte, einen in der Luft enthaltenen Spiritus nitro-aéreus. Dieser Weiterführung der Idee eines einheitlichen Säurestoffs schloss sich auch Johann Joachim Becher an, der aus der Mischung einer «elementaren Erde» mit Wasser eine Ursäure (Acidum primigenium, A. universale) hervorgehen ließ. Dieser Ansatz wurde von Georg Ernst Stahl und der Phiogistontheorie übernommen und weitergeführt und war bis zu deren Ablösung durch die Sauerstofftheorie Antoine Laurent Lavoisiers vorherrschend. Die unterschiedliche Stärke der Säure wurde wohl zuerst von Johann Rudolf Glauber bemerkt, der die Schwefelsäure korrekt als die stärkste der bekannten Säure ausmachte.

Frühe Kenntnisse bezüglich Säuren wurden früher dem im 8. Jahrhundert lebenden, arabischen Autor wissenschaftlicher Schriften, Geber, zugeschrieben, der auf Schriften früherer Autoren, der sogenannten Pseudo-Geber, zurückgreifen konnte. Als gesichert kann jedoch gelten, dass die Mineralsäuren erst im lateinischen Mittelalter entdeckt wurden. Wenn in älteren Schriften der arabischen Alchemisten von „scharfen Wässern“ die Rede ist, sind damit ätzende Alkalien gemeint. Bei Pseudo-Geber ist von einem auflösenden Wasser (aqua dissolutiva) die Rede, das aus Vitriol, Salpeter und Alaun hergestellt wurde und demnach Salpetersäure darstellt. Es werde noch viel schärfer, wenn Salmiak darin aufgelöst werde, denn dann löse es auch Gold, Schwefel und Silber auf. Diese Dokumente werden aber heute auf das 13. Jahrhundert datiert.

Die Entdeckung der Mineralsäuren ist schlecht dokumentiert, d.h., es gibt nur wenige Quellen, die eine eindeutige Identifizierung der Säuren und eine einigermaßen genaue Datierung erlauben.

  • Eine Herstellung von Salpetersäure (HNO3) wurde von den Pseudo-Gebern vermutlich nach dem 13. Jahrhundert als „auflösendes Wasser“ (aqua dissolutiva) oder „starkes Wasser“ (aqua fortis) beschrieben.<ref name="Jim al-Khalili" /> Dabei wurde Kupfervitriol (siehe aber auch Chalkanthit) mit Salpeter und Alaunen auf Rotglut erhitzt. Es entweichen nitrose Gase, die mit Wasser Salpetersäure bilden. Diese Säure wurde auch Scheidewasser genannt, da sie Silber in einer chemischen Reaktion löst, aber Gold nicht. J. R. Glauber beschrieb 1648 die Herstellung der konzentrierten (rauchenden) Salpetersäure (spiritus acidus nitri) durch Umsetzung mit Schwefelsäure.
  • Königswasser, aus heutiger Sicht eine Mischung aus Salpeter- und Salzsäure, dürfte ähnlich früh bekannt gewesen sein, da es sich relativ einfach durch Umsetzung von Salpetersäure mit dem bekannten Salmiak gewinnen lässt. Königswasser war die Königin aller Säuren, der nicht einmal Gold, der König der Metalle, widerstehen konnte. Die Darstellung des Königswassers ist zum ersten Mal 1419 in dem alchemischen Buch der heiligen Dreifaltigkeit von Ulmannus beschrieben.
  • Schweflige Säure (H2SO3) ist sicher lange bekannt, da sie durch Verbrennung von elementarem Schwefel zu erhalten ist. Sicherlich war bei vielen Prozessen auch Schwefelsäure (mit) dabei. Genauere Prozesse zur Darstellung von Schwefelsäure (H2SO4) wurden aber erst 1597 von A. Libavius genauer beschrieben: a) Glühen von Eisen- oder Kupfersulfat, dem sogenannten Eisen- bzw. Kupfervitriol – siehe hierzu auch Vitriolverfahren – zum Oleum vitrioli (rauchender Schwefelsäure) und b) Verbrennung von Schwefel und anschließende Oxidation, die zu verdünnten Lösungen (Oleum sulphuris) führten. Eine technische Umsetzung gelang im 19. Jahrhundert mit dem Bleikammerverfahren.
  • Bei der Salzsäure (Spiritus Salis) gibt es im Gegensatz zur Schwefelsäure Anhaltspunkte für die Datierung ihrer Entdeckung. Zum ersten Mal ist ihre Herstellung in einer italienischen Rezeptsammlung über Farben nachweisbar, und zwar in einem Manuskript aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die dort beschriebene Darstellungsmethode war die im 16. Jahrhundert und darüber hinaus gebräuchliche durch Umsetzung von Vitriol und Kochsalz. Durch Glühen einer Mischung aus Kochsalz und Ton beschrieb A. Libavius eine Synthese. B. Valentinus beschrieb die Umsetzung von Vitriol und Kochsalz zu aqua caustica, dem ätzenden Wasser. Intensive Untersuchungen durch J. R. Glauber im 17. Jahrhundert führten zu Glaubers Salzgeist (Spiritus salis Glauberianus), der sehr konzentrierten, sogenannten rauchenden Salzsäure bzw. dem Gas Chlorwasserstoff. Die nichtrauchende Salzsäure wurde als Spiritus Salis oder Salzgeist bezeichnet.

Der wichtige Begriff Base als phänomenologisches Gegenstück zur Säure wurde im 17. Jahrhundert von Alchimisten und Chemikern wie G. E. Stahl, Gottfried Rothe, R. Boyle und G. F. Rouelle verwendet, weil „basische“ Stoffe die nichtflüchtige Grundlage zur Fixierung flüchtiger Säuren bildeten und die (ätzende) Wirkung von Säuren aufheben konnten. Grundlegende Schritte in die Chemie gelangen A. L. Lavoisier im 18. Jahrhundert, der bestimmten chemischen Verbindungen bestimmte Eigenschaften zuwies. Er dachte, dass Säuren stets aus Nichtmetalloxiden und Wasser sowie Basen aus Metalloxiden und Wasser entstünden. Humphry Davy fand 1808 ein Gegenbeispiel (Chlorwasserstoff) und erkannte Wasserstoff als notwendigen Bestandteil von Säuren. Dies lehnte Lavoisier jedoch ab, wodurch sich die These von Davy erst später durchsetzte. Auch J. von Liebig sah 1838 Säuren als Wasserstoff-Verbindungen, die sich durch Metalle in Salze überführen lassen.

1884 definierte S. Arrhenius Säuren als Stoffe, die beim Auflösen in Wasser unter Abgabe von Protonen (H+) dissoziieren, und Basen als Stoffe, die beim Auflösen in Wasser unter Abgabe von Hydroxidionen (OH) dissoziieren. Werden Säuren und Basen zusammengegeben, so neutralisieren sie sich unter Bildung von Wasser. Die Theorie war jedoch noch unzureichend, da Verbindungen ohne Sauerstoff nicht einbezogen wurden: Auch Ammoniak neutralisiert eine Säure. Außerdem blieb unklar, aus welchen Gründen Säure-Moleküle sich in Ionen aufspalten oder durch welche Kräfte sie gespalten werden, also dissoziieren, und warum es manche Säuren nur zu einem gewissen Grad tun. J. N. Brønsted und Martin Lowry beschrieben 1923 unabhängig voneinander die heute noch wichtigste Definition von Säuren und Basen. Sie bilden die Basis der unten erläuterten Erklärungen zur Säure.