Virus-Taxonomie

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Als Virus-Taxonomie bezeichnet man die international verbindliche Benennung von Viren, Virusfamilien und -gattungen. Die Entscheidung über verschiedene Taxa wird von einem internationalen Gremium, dem International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV), beraten und getroffen.

Die Virus-Taxonomie ist ein an die Taxonomien von Pflanzen und Tieren angelehnter Versuch, die Vielfalt viraler und subviraler Entitäten (auch Prionen und Retrotransposons) systematisch und einheitlich zu ordnen. Sie darf nicht mit der weiter gefassten Virusklassifikation verwechselt werden, bei der verschiedene Eigenschaften von Viren zur Einteilung herangezogen werden können (zum Beispiel nur Genomstruktur, Baltimore-Klassifikation, Wirtsspecies, Übertragungsart etc.).

Historie[Bearbeiten]

Vorgänger der heutigen ICTV-Taxonomie ist die von André Lwoff, Robert W. Horne und Paul Tournier im Jahre 1962 entsprechend der von Carl von Linné begründeten binären Klassifikation der Lebewesen begründete System (nach diesen Autoren LHT-System genannt). In ihr werden analog zur Taxonomie anderer Lebewesen, die folgenden Taxa unterteilt:

Virosphäre (Phylum: Vira)
Subphylum (…vira)
Klasse (…ica)
Ordnung (…virales)
Familie (…viridae)
Unterfamilie (…virinae)
Gattung oder Genus (…virus)
Art oder Spezies/Species (nach der hervorgerufenen <Krankheit> …virus)

Die entscheidenden Charakteristika für diese Klassifikation waren:

  1. die Natur des viralen Genoms (DNA oder RNA)
  2. die Symmetrie des Kapsids
  3. Vorhandensein einer Lipidumhüllung
  4. Größe von Virion und Kapsid

Auf Grundlage des Wissens um die Molekularbiologie der Viren hatte sich ab 1971 eine weitere Klassifikation etabliert, welche auf einen Vorschlag des Nobelpreisträgers David Baltimore zurückgeht. Wichtige Kriterien dieser Baltimore-Klassifikation sind:

  1. die Genomstruktur:
    • DNA oder RNA
    • Doppel- oder Einzelstrang – im letzteren Fall kommt noch die Polarität hinzu
    • eventuelle Segmentierung: segmentiert (multipartit) oder unsegmentiert (monopartit)
    • lineare oder zirkuläre Topologie
  2. die Form (Symmetrie) des Kapsids
  3. das Vorhandensein einer Hülle
  4. die Anordnung der Gene innerhalb des Genoms
  5. die Replikationsstrategie (abhängig von Genomstruktur)
  6. die Virusgröße

Virustaxonomie nach ICTV[Bearbeiten]

Das International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) begann Anfang der 1970er Jahre mit der Ausarbeitung und Umsetzung von Regeln für die Benennung und Klassifizierung von Viren, eine Arbeit, die bis in die Gegenwart andauert. Das ICTV ist das einzige Gremium, das von der International Union of Microbiological Societies mit der Aufgabe betraut wurde, eine universelle Virustaxonomie zu entwickeln, zu verfeinern und aufrechtzuerhalten. Das System hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Klassifikationssystem der zellulären Organismen, wie z.B. die Taxonstruktur. Es gibt jedoch einige Unterschiede, wie etwa die fest vorgeschriebenen Namensendungen für taxonomische Namen aller Ränge ab Gattung aufwärts, sowie die durchgängige Verwendung von Kursivschrift für alle taxonomischen Namen – anders als für zelluläre Organismen (nach International Code of Nomenclature für Algen, Pilze und Pflanzen und International Code of Zoological Nomenclature).

Gegenüber den Baltimore-Kriterien zielt dabei der Fokus zunehmend auf Übereinstimmungen in der Nukleotidsequenz (Homologie). Dies erlaubt es im Prinzip auch Metagenomanalysen mit einzubeziehen, so dass man für die Aufstellung einer Taxonomie nicht mehr notwendig auf die Isolation eines Virusstamms angewiesen ist. Möglich machen dies die Fortschritte in Vereinfachung, Zugänglichkeit, Dauer und Kosten der Gensequenzierung. Auch wenn die Baltimore-Kriterien an zweiter Stelle immer noch eine wichtige Rolle spielen, geraten sie immer weiter in den Hintergrund. Spezies, über die das ICTV keine ausreichenden Genom-Informationen bekommt, sind daher taxonomisch nicht einzuordnen und werden vom ICTV ggf. auch wieder ausgelistet. Zudem hat das ICTV immer mehr Taxa höheren Ranges aufgestellt, die aufgrund von Gen-Homologien Vertreter verschiedener Baltimore-Gruppen in sich vereinen (z.B. Pleolipoviridae, Ortervirales und zwei der vier Realm – en. realms), und die daher als Gruppe nicht im Baltimore-System unterzubringen sind.

Für die Taxonomie unberücksichtigt, aber dennoch für die Zusammenfassung unterschiedlicher Viren mit gemeinsamen medizinischen oder epidemiologischen Merkmalen wichtige Kriterien sind:

  • gemeinsame Organismen (Wirte), die sie infizieren
  • ähnliche Krankheitsbilder bzw. Infektion des gleichen Organs (z.B. Hepatitis-Viren)
  • gemeinsame Übertragungswege, z.B. Übertragung durch Vektoren (Gliederfüßer: Arboviren)

Die taxonomische Struktur war bis 2017 im Prinzip wie bei der her­kömm­lichen Virus­klassi­fikation ab Stufe Ordnung und darunter (siehe oben) und wurde 2018 durch weitere Stufen wie folgt ergänzt (mit vom LHC-System abweichenden Namensendungen). Oberste Rangstufe ist jetzt Realm (en. realm, anstelle der Domäne bei zellulären Organismen):

Realm (en. realm) (…viria)
Subrealm (en. subrealm) (…vira) (Endung wie bei Subphylum im LHC-System, als zweiteoberste Stufe)
Reich (en. kingdom) (…virae)
Unterreich (en. subkingdom) (…virites)
Stamm oder Phylum (…viricota) (in Analogie zu …archaeota - abweichend vom LHC-System sind mehrere Virusphyla möglich)
Subphylum (…viricotina)
Klasse (…viricetes)
Unterklasse (…viricetidae)
Ordnung (…virales)
Unterordnung (…virineae)
Familie (…viridae)
Unterfamilie (…virinae)
Gattung oder Genus (…virus)
Untergattung oder Subgenus (…virus)
Art oder Spezies/Species (…virus)

Für spezielle Fälle sind ausnahmsweise auch bestimmte Abweichungen der Namensform möglich.

Es gibt in diesen Richtlinien (bisher) keine Definition von Tribus, Unterarten (Subspezies), Stämmen (analog zu Bakterienstamm, en. strain) oder Isolaten. Die Namen einzelner Viren (im Sinn von Isolaten oder Stämmen) werden – genauso wie reine Akronyme normal (nicht kursiv) geschrieben.