Demiurg

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Als Demiurgen (dēmio(u)rgoí, attisch) oder Damiurgen (damio(u)rgoí, dorisch) wurden im antiken Griechenland spezialisierte Berufstätige bezeichnet, insbesondere gewerbliche Produzenten. In Attika handelte es sich ursprünglich um Pächter (Hektemoroi) oder freie, aber grundbesitzlose Handwerker, Lohnarbeiter und Händler (Theten).

Später wurde der Ausdruck in philosophischen und theologischen Lehren wie dem Platonismus im übertragenen Sinn als göttlicher „Anfertiger“ verstanden, das schöpferische Prinzip „Gott“ als Baumeister des Kosmos. Aristoteles definiert seine Auffassung des Demiurgen als Unbewegten Beweger. Vertreter der Gnosis, einer religiösen Strömung der römischen Kaiserzeit, und Christen außerhalb der Großkirche griffen diese Vorstellung auf und deuteten sie in ihrem Sinn um. Während bei Platon und Aristoteles der Demiurg ein erhabenes Wesen ist, das nur das Bestmögliche will und hervorbringt, erscheint er in der gnostischen Tradition als fragwürdige Gestalt, die eine mangelhafte, von vielfältigen Übeln geprägte Welt erschaffen hat. Bei Marcion ist er als Schöpfer der Welt und Ordner der Materie eine vom „guten Gott“, den Christus verkündet hat, unabhängige Instanz.

In modernen religionswissenschaftlichen und philosophiegeschichtlichen Texten wird als Demiurg ein Schöpfergott bezeichnet, der nicht mit dem obersten Prinzip identisch, sondern niedrigeren Ranges ist. Der Begriff wird bei der Beschreibung von religiösen oder philosophischen Systemen verwendet, in denen außer der höchsten Gottheit, die nicht unmittelbar an der Erschaffung der Welt beteiligt ist, ein Weltschöpfer vorkommt.

Etymologie und allgemeinsprachliche Begriffsverwendung[Bearbeiten]

Das Wort dēmiourgós (adjektivisch „für die Allgemeinheit tätig“, substantivisch „öffentlicher Arbeiter“, „Handwerker“, „Künstler“) besteht aus den Bestandteilen dēmio- (vom Adjektiv dḗmios „das Volk betreffend“, „öffentlich“ abgeleitet) und -(ϝ)orgós oder -(ϝ)ergós („Produzent“, „Tätiger“, abgeleitet von (ϝ)érgon „Werk“). Gemeint war ursprünglich ein für öffentliche Belange kreativ tätiger Spezialist, der mit fachmännischer Arbeit für die Öffentlichkeit bestimmte, besondere Erzeugnisse herstellt und Dienstleistungen erbringt. In diesem Sinne zählte schon Homer neben Handwerkern auch Ärzte und Herolde zu den Demiurgen. Später wurden auch Künstler und manche Staatsbeamte Demiurgen genannt.

Im archaischen Attika bildeten die Demiurgen angeblich im 6. Jahrhundert v. Chr. neben den Bauern und den Adligen einen der drei Bürgerstände, doch gilt diese Gliederung der Bürgerschaft nicht als zuverlässig überliefert. Bis in die klassische Epoche bezeichnete man vor allem Handwerker als Demiurgen. Als es aber im Lauf der Zeit zu einer zunehmenden Abwertung manueller, handwerklicher Tätigkeit kam, wurde für Handwerker die meist abschätzige Bezeichnung „Banause“ (von bánausos) geläufig, während man Angehörige angesehener Berufsstände weiterhin „Demiurgen“ nannte.

Antike Philosophie und Theologie[Bearbeiten]

Sokrates und Platon[Bearbeiten]

Den Vorsokratikern war das Konzept des Demiurgen unbekannt, doch wurde die Verwendung des Ausdrucks „Demiurg“ für den Schöpfergott anscheinend nicht erst von Platon eingeführt. Platons Zeitgenosse Xenophon berichtet, schon Sokrates habe den Schöpfergott mit einem weisen und freundlichen Werkmeister (demiourgos) verglichen.

Platon betonte den Vorrang des Geistes gegenüber der Materie. Er lehrte, dass die materiellen Dinge geistigen Ursprungs seien. Sie seien nicht Ergebnisse eines zufälligen Geschehens, sondern von einer göttlichen Instanz erzeugt und vernünftig geordnet. Die sinnlich wahrnehmbaren vergänglichen Objekte und Gegebenheiten seien Abbilder überzeitlicher Urbilder, der platonischen Ideen.

In seinem Dialog Timaios beschreibt Platon in mythischer Sprache den Zusammenhang zwischen geistigen (intelligiblen) Urbildern und materiellen Abbildern. Dazu führt er den Demiurgen ein, einen Schöpfergott, der wie ein Künstler oder Handwerker die Welt auf vernünftige Weise planmäßig erschafft und einrichtet. Platon weist darauf hin, dass der Demiurg schwer aufzufinden sei und nicht allen Menschen verkündet werden könne; er hält es für schwierig, etwas über den Schöpfer und dessen Werk mitzuteilen.

Nach der Schilderung im Timaios gibt es vor der Schöpfung nur die ungeordnete Bewegung der Materie im Chaos, die der „Notwendigkeit“ folgt. In dieses Chaos greift der Demiurg ein. Er erschafft nicht aus dem Nichts, sondern ordnet die bereits existierende Materie, indem er sie durch Gestalt und Zahl formt und den Dingen Maß verleiht. So bringt er aus dem Chaos die Welt hervor, die er zum kugelförmigen Kosmos, dem wohlgeordneten Universum, gestaltet. Er sorgt für Harmonie zwischen den Bestandteilen des Alls und etabliert die mathematischen Gesetzen folgende bestmögliche Weltordnung. Seine schöpferische Tätigkeit führt er aus, indem er auf die Ideen „hinblickt“ und der ursprünglich formlosen Materie etwas vom Wesen der geistigen Vorbilder vermittelt. Dies vollbringt er jedoch nicht unmittelbar, sondern er benötigt dafür die Weltseele, die er als vermittelnde Instanz zwischen der rein geistigen Ideenwelt und dem physischen Weltkörper erschafft. Der Weltseele fällt die Aufgabe zu, den Kosmos zu beleben und zu lenken. Ein etwas später entstandenes Erzeugnis des Schöpfergotts ist der unvergängliche Teil jeder individuellen Menschenseele. Schließlich zieht sich der Demiurg zurück, obwohl die Schöpfung noch nicht vollendet ist; die restliche Schöpfungstätigkeit, darunter die Erschaffung des vergänglichen Seelenteils und des menschlichen Körpers, überlässt er untergeordneten Göttern, die seine Geschöpfe sind.

Im Mythos des Timaios werden die Schöpfungsvorgänge so beschrieben, dass der Eindruck entsteht, es sei ein Schöpfungsakt gemeint, der zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hat. Demnach hätte die sinnlich wahrnehmbare Welt vorher nicht existiert und wäre den entstandenen, zeitabhängigen Dingen zuzurechnen. Da diese Vorstellung im Rahmen des Platonismus zu erheblichen philosophischen Schwierigkeiten führt, waren die meisten antiken Platoniker der Meinung, Platon habe die Weltschöpfung nur zum Zweck der Veranschaulichung wie einen zeitlichen Vorgang geschildert, in Wirklichkeit habe er eine überzeitliche Kausalität gemeint und den Kosmos für ewig gehalten. Nach dieser Deutung, die wahrscheinlich Platons Auffassung richtig wiedergibt, hat die Schöpfung weder einen Beginn noch ein Ende.

Epoche der Platonischen Akademie[Bearbeiten]

In der Zeit zwischen Platons Tod (348/347 v. Chr.) und dem Untergang der von ihm gegründeten Schule, der Platonischen Akademie, im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. scheint das Konzept des Schöpfergottes bei den Platonikern eine geringe Rolle gespielt zu haben. Platons Schüler Speusippos meinte, der Demiurg sei mit dem reinen Intellekt (Nous, Weltvernunft) identisch. Diese Interpretation entspricht wahrscheinlich Platons Auffassung. Anderer Ansicht war Aristoteles, ein Schüler Platons, der sich später vom Platonismus abwandte. Er brachte Argumente gegen die Annahme einer Schöpfung vor. Aristoteles war der Überzeugung, die Hypothese eines entstandenen, dem Bereich des Werdens und Vergehens angehörenden Kosmos sei mit der Vorstellung eines unwandelbar guten Demiurgen unvereinbar. Beide Annahmen seien irrig; die Welt sei ewig und einen Demiurgen gebe es nicht.

In der letzten Phase der Geschichte der Akademie, der Epoche des Skeptizismus („akademische Skepsis“), wurde die Beweisbarkeit philosophischer und theologischer Aussagen generell bestritten. Auch den Gedanken einer Welterschaffung und göttlichen Weltlenkung zählten die akademischen Skeptiker zu den unbeweisbaren Hypothesen, gegen die sie gewichtige Einwände vorbrachten und denen sie als bloßen Mutmaßungen keinen Erkenntniswert zubilligten.