Komplexität

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Komplexität (lat. complexum, Partizip Perfekt Passiv von complecti „umschlingen“, „umfassen“ oder „zusammenfassen“) bezeichnet das Verhalten eines Systems oder Modells, dessen viele Komponenten auf verschiedene Weise miteinander interagieren können, nur lokalen Regeln folgen und denen Instruktionen höherer Ebenen unbekannt sind. Bei dem Begriff handelt es sich um ein Kompositum aus der Präposition cum „mit“, oder „zusammen mit“ und plectere „flechten“ oder „ineinanderfügen“ im Sinne von „verflochten“, „verwoben“.

Kann man das Gesamtverhalten eines Systems, trotz vollständiger Informationen über seine Einzelkomponenten und deren Wechselwirkungen, nicht eindeutig beschreiben, so handelt es sich um Emergenz.

Definitionen[Bearbeiten]

Der Begriff wird je nach Autor und Wissenschaftgebiet unterschiedlich definiert.

Der Ökonom Peter Ulrich bezeichnet mit der Komplexität einer Situation die Vielfalt der einwirkenden Faktoren und das Ausmaß ihrer gegenseitigen Interdependenzen und charakterisiert diese als Merkmal schlecht strukturierbarer Entscheidungssituationen. Komplexität ist eine mögliche Form eines Gegenteils von Einfachheit, Determinierbarkeit und der Überschaubarkeit.

Die Komplexität eines Sachverhaltes wird widergespiegelt durch die Menge der Details, die sich von allen anderen Details des Sachverhalts so unterscheiden, dass es keine vereinfachende Abstraktion gibt, die den Detaillierungsgrad verkleinert. Komplexität wird auch geschaffen durch sich widersprechende Zielsetzungen, Dilemmata und nicht determinierbares Verhalten autonomer Systemeinheiten und ist ein wesentliches Merkmal von sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Systemen.

  • In der Systemtheorie werden komplexe Systeme durch eine Reihe charakterisierender Eigenschaften beschrieben. Die Komplexität eines Systems steigt mit der Anzahl an Elementen, der Anzahl an Verknüpfungen zwischen diesen Elementen sowie der Funktionalität und Unüberschaubarkeit dieser Verknüpfungen (zum Beispiel Nicht-Linearität).
  • Der Umgang mit wirtschaftlicher, organisatorischer und technischer Komplexität gehört zum Themengebiet Komplexitätsmanagement (Komplexitätsreduktion). Aber auch die Bewältigung des Alltags erfordert heute Techniken des Komplexitätsmanagements wie exakte Terminplanung, bewusste Selektion unter vielen verfügbaren Optionen – z.B. von Fernsehprogrammen mittels Programmzeitschrift – oder gar den Kauf kompletter Problemlösungen von professionellen Beratern.

Wenn Komplexitätseindruck in erster Instanz eine Wahrnehmungsschwierigkeit widerspiegelt, weil die Zahl der Verknüpfungsmöglichkeiten eines Systems nicht mehr überschaubar und die Kausalität zwischen ihnen nicht mehr erkennbar ist, kann dies zwei Ursachen haben: Mangel an Abhängigkeiten und Ordnung in der externen Welt (ontologische Komplexität) und Überforderung der menschlichen Wahrnehmungsmittel durch Vielzahl und Vielfalt von bestehender Abhängigkeiten und Ordnung (epistemologische Komplexität).

Nahe verwandte Gegensatzbegriffspaare der ontologischen und epistemologische Komplexität sind jeweils die von Warren Weaver vorgeschlagenen Begriffspaare der „unorganisierten Komplexität“ und „organisierten Komplexität“.

  • Grenzen der Definierbarkeit

Es gibt Ansichten, dass der Begriff „Komplexität“ autologisch sei, das heißt, dass man ihn auf sich selbst beziehen könne: Der Begriff der Komplexität sei selbst komplex.

Matti Miestamo unterscheidet „relative“ und „absolute Komplexität“: „I identify two different approaches to complexity; the absolute one – complexity as an objective property of the system, and the relative one – complexity as cost/difficulty to language users.“

Untersuchungsgebiete[Bearbeiten]

Entwicklung von Komplexität[Bearbeiten]

Komplexe Systeme haben sowohl strukturelle und funktionelle als auch dynamische Eigenschaften. Die dynamischen Eigenschaften manifestieren sich vor allem in den Prozessen, die zu ihrer Entstehung führen. Diese Prozesse sind i. d. R. emergent und selbstorganisiert. Jeder emergente Prozess erzeugt aus Elementen, die untereinander Wechselwirkungen haben, Systeme mit höherer Komplexität. Emergente Prozesse sind meist dissipativ und autokatalytisch und deshalb nichtlinear. Ihr Ablauf ist durch das deterministische Chaos bestimmt. Aufgrund der Nichtlinearität der Prozesse bilden sich Strukturen und Systeme. Die Prozesse werden von den Bedingungen in ihrer Umgebung beeinflusst.

Beispiele für selbstorganisiert erzeugte Strukturen in der unbelebten Natur sind die Rayleigh-Bénard-Konvektion, bei der durch einen Wärmestrom stabile Konvektionszellen erzeugt werden, und die Belousov-Zhabotinsky-Reaktion, bei der durch einen autokatalytischen Teilprozess stabile Muster oder regelmäßige Farbwechsel erzeugt werden.

Da sich Natur und Gesellschaft im Laufe der Zeit in aufeinanderfolgenden und hierarchisch aufeinander aufbauenden emergenten Prozessen entwickelt haben, hat sich die seit dem hypothetischen Urknall ständig wachsende Komplexität der Welt von selbst entwickelt.

Gesellschaft[Bearbeiten]

Joseph Tainter argumentiert, dass die in primitiven Gesellschaften bestehende Möglichkeit, Probleme z.B. der Ressourcenknappheit einfach durch Wanderung (durch horizontale Ausbreitung) zu lösen, in sesshaften, entwickelten und komplexen Gesellschaften nicht existiert. Hier müsse man eine „vertikale“ Lösung finden, d.h. eine höhere Form hierarchischer Kontrolle entwickeln, also etwa mehr Steuern erheben, sich in Formalismen flüchten, die Bürokratie oder das Heer vergrößern, die Eliten noch stärker begünstigen usw. So entsteht eine Spirale wachsender Komplexität und wachsender Komplexitätskosten, wobei die Investitionen in die immer komplexer werdenden Problemlösungsstrategien einen sinkenden Ertrag pro Investitionseinheit erzielen. An diesem Punkt sei ein gesellschaftlicher Kollaps sogar sinnvoll; er führe zu einem Verschlankungsprozess.

Nach Friedrich von Hayek entstehen die komplexen Strukturen der menschlichen Gesellschaft und die damit verbundene nichtlineare Soziodynamik einerseits spontan im Rahmen selbstorganisierter, emergenter sozialer Prozesse und andererseits als Ergebnis eines bewussten gesellschaftlichen Entwurfs. Letzterer startet mit einer gewissen Struktur, entwickelt sich dann aber durch die spontanen sozialen Prozesse selbstorganisiert weiter. Diese Kombination aus bewusstem Entwurf und selbstorganisierter Weiterentwicklung hat er „erweiterte Ordnung des menschlichen Zusammenwirkens“ genannt.