Kulturareal

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Kulturareal (von lateinisch arealis „Fläche“), Kulturkomplex oder Kulturprovinz bezeichnet in der Ethnologie ein geografisch abgegrenztes Gebiet, in dem verschiedene Ethnien leben, die eine gewisse Anzahl typologisch ähnlicher oder vergleichbarer Kulturelemente oder Kulturgüter aufweisen. Die Ursache dafür sind homologe Entwicklungen durch gemeinsame Abstammung, Kulturtransfer zwischen benachbarten Ethnien und (weitaus kontroverser diskutiert) analog entstandene Übereinstimmungen, die auf gleichartige Lebensbedingungen zurückgeführt werden.

Die außereuropäischen Kulturareale in Gebieten ehemaliger europäischer Kolonien verweisen grundsätzlich auf Vorstellungen einer jüngsten historischen Verbreitung und Lebensweise der „eingeborenen“ Völker vor der Kolonialisierung bzw. vor der Bildung der modernen Nationalstaaten. Eine Ausnahme bilden die Kulturareale Europas: Obgleich sie sich explizit auf die historische Entwicklung beziehen, bilden sie dennoch Realitäten ab, die gegenwärtig noch zutreffen. Das Gleiche gilt eingeschränkt für die meisten Areale Südasiens.

Viele traditionelle Lebensweisen und indigene Kulturelemente existieren heute nur noch als Substrat unter der vorherrschenden Kultur, so dass Kulturareal-Karten für die Gegenwart in vielen Regionen der Welt die kulturellen Minderheiten hervorheben. Beispielsweise bezieht sich das nordamerikanische Kulturareal „Prärie und Plains“ auf die Völker der Prärie-Indianer; diese leben nach wie vor dort, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur noch etwa drei Prozent beträgt und sie schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr von der traditionellen Bisonjagd leben.

Die moderne Ethnologie führte die Bezeichnung Kulturareal ein, nachdem die „Kulturkreislehre“ aufgegeben wurde, weil sie mit der Rassenideologie des Dritten Reiches in Verbindung gebracht wurde. Das von den US-amerikanischen Ethnologen Franz Boas, Robert Lowie und Clark Wissler entwickelte Konzept der culture area wurde später von verschiedenen Autoren übernommen.

Die Modelle der Kulturareale basieren auf der Out-of-Africa-Theorie sowie der genetisch rekonstruierten Ausbreitung des Menschen und des „Wanderverhaltens“ menschlicher Populationen. So wird angenommen, dass sich kleine, vorgeschichtliche Gruppen aufgrund unwirtlicher Lebensbedingungen und/oder der Erschöpfung der Ressourcen weit über die Erde verstreut haben. In günstigen Gebieten kam es zur Ansiedlung und im Laufe der Zeit zu einer immer besseren Anpassung an die jeweiligen ökologischen Verhältnisse. Auf diese Weise entstanden die ältesten Kulturen. Die effiziente Nutzung der Umwelt führte wiederum zu einem starken Bevölkerungszuwachs und somit zu einer sternförmigen Ausbreitung und Etablierung der Kulturen innerhalb des jeweiligen Großlebensraumes. Nach der Theorie blieben die wesentlichen Merkmale der Kulturen dabei erhalten. Bei den „Ablegern“ kam es lediglich zur Differenzierung von Details. Vor diesem Hintergrund sei es möglich, räumlich abgrenzbare Kulturareale zu definieren.

Außerhalb der ethnologischen und historischen Wissenschaften spricht man von Kulturräumen oder Kulturerdteilen, die im jeweiligen Zusammenhang ihrer Fachwissenschaft die gegenwärtige Situation abbilden.