Tochterrepublik

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Tochterrepubliken (Französisch: républiques sœurs, Schwesterrepubliken) waren ab 1792 von der Französischen Republik durch Militärintervention und Revolutionsexport errichtete Staaten mit Verfassungen nach französischem Vorbild. Der Begriff betonte die Verwandtschaft und Verbundenheit zu diesen Republiken. In erster Linie bezeichnet der Begriff Napoleons Satellitenstaaten in Italien.

Am Anfang dieser Neuordnung Europas standen sowohl Sendungsbewusstsein des revolutionären Staats als auch das Bedürfnis, sich aus der Isolation dem monarchischen Rest Europas gegenüber zu befreien. Aus diesem Grund unterstützte Frankreich die selbst ausgerufenen Tochterrepubliken und förderte aktiv die Ausrufung solcher verbündeter Staaten. Zu regelrechten Annexionen kam es erstmals im Verlauf des Ersten Koalitionskrieges 1792/93, in dessen Verlauf Frankreich vor allem deutsche Gebiete besetzte, um die „natürlichen Grenzen“, insbesondere den Rhein, zu erreichen.

Die meisten Tochterrepubliken entstanden erst nach der jakobinischen Phase der Französischen Revolution 1793–1794, und ihr Schicksal hing eng mit der Karriere Napoléon Bonapartes seit 1796 zusammen, vor allem mit seinen Erfolgen im Italienfeldzug. Doch auch in ganz Europa erhielt unter ihm der militärstrategische Gesichtspunkt der Pufferbildung an den Grenzen Frankreichs eine größere Bedeutung. Das napoleonische Staatensystem in Europa beschränkte sich nicht auf Tochterrepubliken im engeren Sinn, sondern umfasste unter anderem auch das 1801 errichtete Königreich Etrurien, das 1805 aus der Italienischen Republik hervorgegangene Königreich Italien, das 1806 aus der Batavischen Republik hervorgegangene Königreich Holland, das 1806 abgespaltene Königreich Neapel, das Herzogtum Warschau (ab 1807–1815), das ab 1808 umkämpfte Spanien. Die deutschen Staaten standen allesamt unter napoleonischem Einfluss, insbesondere die Staaten des Rheinbunds – hierbei vor allem die drei napoleonischen Modellstaaten Königreich Westphalen, Großherzogtum Frankfurt und Großherzogtum Berg.

Ab 1804 spielte auch das Element der napoleonischen Dynastiebildung (Napoleoniden) eine wichtige Rolle. Aus den Tochterrepubliken wurden Königreiche mit Verwandten Napoléons als Könige. Zudem wurden die neuen Staaten zunehmend weniger als Partner, sondern mehr als Befehlsempfänger angesehen. Mit Beginn der Kontinentalsperre (1806) ging Napoléon schließlich zur offenen Annexion über.

Zahlreiche revolutionäre Errungenschaften in Verwaltung, Freiheitsrechten, Wirtschaft, Justiz und Schulsystem wurden in die Tochterrepubliken und darüber hinaus exportiert. Besonders im Fall Preußens spielten diese Reformen eine zentrale Rolle für dessen Aufstieg im 19. Jahrhundert. Im Verlauf der napoleonischen Dynastiebildung verschwand das Element der Republikanisierung bei der Bildung neuer Vasallenstaaten: Sie wurden nur noch mit schwachen Legislativen ausgestattet. Auch Staaten, die sich nicht unmittelbar unter französischer Kontrolle befanden, übernahmen vor allem die Effektivierung und Vereinheitlichung der Verwaltung. In ganz Europa kam es zudem zur Auflösung der Grundherrschaft, die sich aber teilweise bis nach 1848 hinzog. Zahlreiche weitere Reformen wurden in den Satellitenstaaten angefangen, aber nicht durchgesetzt. Sie blieben durch das 19. Jahrhundert hindurch zumindest als Programm bestehen.

Die Namen der Tochterrepubliken selbst (z.B. Batavische Republik oder Cisalpinische Republik) leiteten sich meist von geo- und ethnographischen Begriffen der Antike her. Die besondere Namensgebung für die Verbündeten des revolutionären Frankreichs rührte von einem besonderen Verständnis her, worin das Wesen der Revolution bestünde. Der später gültige Sinn – radikaler Neubeginn und gewaltsamer Fortschritt – steckte ursprünglich gerade nicht im Wort Revolution, sondern bedeutete „Rückwendung“ (lat. re-volutio), d. h. weg von einer als degeneriert angesehenen feudalen Gegenwart hin zu früheren naturrechtlichen Zuständen. Verwirklicht glaubten die Vordenker der Revolution diese freieren Gesellschaften in der Antike, in der Römischen Republik oder bei den keltisch-germanischen Völkern, auf die man sich also in sprachlicher Weise berief. Das hohe und bis in die Anfänge der damals bekannten Geschichte zurückreichende Alter der Begriffe sollte sowohl für ein Gegengewicht zur Künstlichkeit der Staatenbildung sorgen als auch den neuen Republiken eine größere Legitimation als der im Mittelalter verwurzelten Feudalordnung verschaffen.