Geschichte des Waldes in Mitteleuropa

Aus Twilight-Line Medien

Die Geschichte des Waldes in Mitteleuropa ist sehr wechselhaft, vor allem seit der intensiven Nutzung des Waldes durch den Menschen seit etwa 2.000 Jahren. Diese hat sich tiefgreifend auf den Wald und dessen ökologische Zusammensetzung ausgewirkt. (Der Begriff Mitteleuropa bezieht sich in diesem Artikel auf den Bereich etwa zwischen Nordsee und Alpen sowie zwischen Ostsee und Schwarzem Meer und schließt damit den Wald in Deutschland vollständig mit ein.)

Die Geschichte des Waldes beginnt als botanische Naturgeschichte, deren Erforschung vor allem in das Gebiet der Paläobotanik fällt. Während Kaltzeiten war das heutige Mitteleuropa größtenteils waldfrei, abgesehen von vereinzelten Waldsteppen und -tundren, so auch während der letzten Kaltzeit. Für vergangene Warmzeiten ist der ursprüngliche natürliche Zustand wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Gemäß der verbreiteten Megaherbivorenhypothese wurde das Wachstum des Waldes hauptsächlich durch die größten Pflanzenfresser (Megaherbivoren) kontrolliert, die damals noch in deutlich höherer Zahl Mitteleuropa besiedelten, da die Anzahl der Menschen noch verschwindend gering war und damit die Jagd auf diese Tiere. Wald war dadurch weltweit komplex mosaikartig verteilt. Neuere Studien scheinen diese Sichtweise zu bestätigen.

Wissenschaftlich gesichert ist, dass sich mit dem Ende der letzten Eiszeit die Wälder beginnend vor etwa 16.000 Jahren langsam wieder ausgebreitet haben. Zu Beginn der Neolithischen Revolution vor etwa 7.500 Jahren war der Waldanteil in Mitteleuropa bereits sehr hoch (über 90 %). Die damaligen Wälder waren vor allem gemischte Laubwälder. Vor etwa 4.500 Jahren begann die Buche, sich stark auszubreiten. Zur Zeitenwende vor etwa 2.000 Jahren bedeckte sie bereits einen Großteil des heutigen Deutschlands. Im Bereich des heutigen Brandenburgs sowie Polens dominierte die Kiefer, in Gebirgsregionen wie Schwarzwald und Alpen die Fichte, regional auch andere Baumarten wie z.B. Eichenarten.

Es wird davon ausgegangen, dass ohne die Sesshaftwerdung des Menschen in Mitteleuropa heute fast überall die Buche dominieren würde. Mit der ersten dauerhaften sesshaften Besiedelung durch die bandkeramische Kultur begann allerdings allmählich die intensivere Nutzung des Waldes durch den Menschen, welcher die Klimaxbaumart Buche benachteiligt hat. Der Abbau des Waldes hatte zunächst v. a. drei Gründe: die Gewinnung von Holz als Baustoff, die Gewinnung von Holz als Energieträger sowie Rodungen für Ackerflächen. Durch die Übernutzung sank der Waldanteil zunächst leicht auf knapp 90 % zur Zeitenwende, ab dem Mittelalter stark (im Gebiet des heutigen Deutschland am stärksten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, von etwa zwei Drittel auf etwa 20 %). Damals neu entstehende Eigentums- und Nutzungsrechte am zuvor für alle frei verfügbaren Wald konnten diese Entwicklung nur teilweise dämpfen. Die Phase der Exploitation dauerte bis in das 18./19. Jahrhundert an, der Waldanteil lag damals regional deutlich unter 10 % (z. B. 2–3 % in Dänemark um das Jahr 1800). Dies beförderte die Entwicklung des Konzepts der Nachhaltigkeit durch die deutsche Forstwirtschaft und seine Verbreitung in der gesamten Waldwirtschaft. Der Waldanteil nahm seither nur leicht zu, stark gesteigert wurde stattdessen die Flächenproduktivität durch Erkenntnisse der Forstwissenschaft.

Das heutige Landschaftselement „Wald“ in Mitteleuropa ist eine in Jahrtausenden geschaffene Kulturlandschaft, die fast ausschließlich auf Ersatzgesellschaften beruht. Die heutigen Waldgesellschaften Mitteleuropas sind größtenteils Wirtschaftswälder. Diese vom Nutzen einzelner Baumarten geprägten Wälder sind entweder als künstlich angelegte Forste oder durch mehr oder minder starke menschliche Eingriffe entstanden. „Naturnaher Wald“ ist die Ausnahme. Die dominierenden Baumarten in den Wirtschaftswäldern Mitteleuropas sind heute zwar weiterhin Fichte, Kiefer, Buche sowie Eichenarten, allerdings in stark unterschiedlicher Häufigkeit und regionaler Verteilung im Vergleich zu früher. So dominiert zum Beispiel im Gebiet Deutschlands durch intensiven Umbau vor allem im 20. Jahrhundert statt der Buche heute die Fichte.

Seit einigen Jahren gibt es einen neuerlichen intensiven Umbau des Waldes in Mitteleuropa unter anderem zur Anpassung an die globale Erwärmung und ihre Folgen sowie zur Bereitstellung vielfältiger Ökosystemdienstleistungen. Die strukturelle Komplexität des Waldes sowie teilweise auch die Biodiversität im Wald erhöhen sich dadurch neuerdings wieder. In dieser Hinsicht wird der Wald derzeit wieder naturnäher. Eine zukünftige Rückkehr in seinen „ursprünglichen“ oder in irgendeinen vergangenen Zustand ist aber ausgeschlossen: Einige Waldlandschaften wurden unwiederbringlich zerstört, viele heimischen Arten ausgerottet und manche fremdländischen Arten unumkehrbar etabliert. Außerdem können durch die veränderten Umweltbedingungen vielerorts die ursprünglich heimischen Arten nicht mehr überleben. Hierbei ist vor allem die zunehmende Trockenheit zu nennen, die bei der derzeit erwarteten Erwärmung besonders Fichte, Kiefer und Buche bis in das Jahr 2100 in Mitteleuropa großflächig kein Überleben mehr ermöglichen wird.