Gleichheit

Aus Twilight-Line Medien

Gleichheit (gelegentlich und vor allem im politischen oder philosophischen Kontext frz. Égalité) bedeutet sinngemäß die Übereinstimmung von zwei (oder mehr) Dingen (z. B. Gegenständen, Personen, Sachverhalten) in einem oder mehreren Merkmalen (bei möglicher Verschiedenheit in anderen Merkmalen). Identität bedeutet eine völlige Übereinstimmung, das heißt Ununterscheidbarkeit in Hinsicht auf jedes Merkmal. Ähnlichkeit bezeichnet eine nur annähernde Übereinstimmung. Gleichheit besteht zwischen zwei oder mehr Objekten und einer oder mehr Eigenschaften. Gleichheit bezeichnet das Verhältnis zwischen den verglichenen Gegenständen oder Personen. Gleichheit kann bestehen bezüglich der Qualität, der Quantität oder der Relation. Sie wird durch die Methode des Vergleichs festgestellt.

Bezogen auf den Menschen ist Gleichheit ein allgemeines Gerechtigkeitsideal, das in seiner Entwicklung mehr als zweitausend Jahre zurückreicht. Verfassungsrechtliche Bedeutung erlangte die Gleichheit 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Gleichheit war neben Freiheit und Brüderlichkeit eines der drei Leitmotive der Französischen Revolution von 1789 (liberté, égalité, fraternité). Es ist ein demokratisches Grundprinzip, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

Geschichtliche Entwicklung[Bearbeiten]

Das Recht auf Gleichheit unter Vollbürgern einer Polis findet sich bereits unter dem Begriff isonomia im antiken Griechenland. Nach den Reformen des Kleisthenes bezeichnete der Begriff isonomia die Gleichheit vor dem Gesetz. Danach hatte jeder das gleiche Anrecht auf eine Behandlung entsprechend dem Gesetz.

Aristoteles unterschied wie Platon zwischen zwei Arten von Gleichheit. Die arithmetische Gleichheit ist zahlenorientiert. Bei dem Verkauf einer Sache ist für das überlassene Gut ein entsprechender Wert geschuldet, es geht um die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Bei der Beschädigung einer Sache muss für den verursachten Schaden aufgekommen werden. Die Wahrung der arithmetischen Gleichheit ist Sache der ausgleichenden Gerechtigkeit. Die zweite Form der Gleichheit hat qualitativen Charakter. Sie ist bei der Verteilung von Gütern und Ämtern von Bedeutung. Es geht um die verteilende Gerechtigkeit als geometrische bzw. proportionale Gleichheit. Nach Aristoteles und Platon steht demjenigen mehr zu, dessen Verdienste größer sind. Soziale Gleichheit galt bei Aristoteles und Platon nur für freie Männer. Ihre Frauen waren ausgeschlossen, desgleichen Sklavinnen und Sklaven, auf deren Arbeitsleistung das antike Wirtschafts- und Gesellschaftsleben ruhte.

Bei Ulpian findet man die Grundsätze: Lebe ehrenhaft, tue niemandem Unrecht, gib jedem das Seine. Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren.

Als Folge demokratischer Tendenzen wurde 1647 in dem Verfassungsentwurf der englischen Independenten, Agreement of the People, kraftvoll die Gleichheit aller Menschen betont. Um die Rechte der nichtadligen Bevölkerungsmehrheit zu schützen, hatte im 16. Jahrhundert Johannes Calvin als beste Staatsform eine Mischung aus Demokratie und Aristokratie empfohlen.

Thomas Hobbes entwarf einen im theoretischen Naturzustand egalitär lebenden Menschen. Die Idee des Naturzustandes ist grundlegend für seine politische Philosophie, es geht dabei um ein Gedankenexperiment. Jeder Mensch ist gleich und frei, und jeder hat das natürliche Recht und auch die gleiche Begabung, seine egoistische Natur unbegrenzt, auch gegen den Widerstand anderer, durchzusetzen. Gleichheit wird damit zur Ursache für einen Kriegszustand. Die Selbsterhaltung bringt den Menschen dazu, den Naturzustand zu verlassen und einen Gesellschaftsvertrag zu schließen. Der Gesellschaftsvertrag ist ein Unterwerfungsvertrag unter einen Souverän. „Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, daß du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr abtrittst.“

Weiterverarbeitet und verbreitet wurde die Idee der Gleichheit und anderer Menschenrechte durch die Aufklärung. John Locke, dessen politisches Denken auf einer Reihe „protestantisch-christlicher Annahmen“ fußte, leitete die grundlegende Gleichheit der Menschen, einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter (Adam and Eve), aus Gen 1 26 bis Gen 1 28 (Imago Dei) her. Locke folgerte daraus unter anderem, dass, da alle Menschen gleich frei geschaffen seien, jede Regierung die Zustimmung der Regierten brauche.

Die Berichte von akephalen („herrschaftsfreien“) und konsensdemokratisch organisierten indigenen Völkern der Kolonialzeit standen häufig in starkem Kontrast zu den streng hierarchischen Strukturen des damaligen Europas und brachten durch entsprechende Kulturvergleiche neue Aspekte in das europäische Gedankengut ein. Sie beförderten die damaligen Utopien der Gleichheit. Das folgende Zitat eines Tionontati-Indianers vom Ende des 17. Jahrhunderts im Gespräch mit dem Franzosen Baron de Lahontan liefert dafür ein anschauliches Beispiel:

Zitat
"Nein, ihr seid bereits unglücklich genug, und ich kann wirklich nicht sehen, wie ihr noch unglücklicher werden könntet. Was für eine Art Mensch mag der Europäer sein? […] Im Ernst, lieber Bruder, ich fühle Mitleid mit dir vom Grunde meiner Seele. […] Ich bin Herr meiner selbst und dessen, was mein ist. […] Dein Körper und deine Seele dagegen sind zur Abhängigkeit von deinem großen Kommandanten verdammt; dein Gouverneur verfügt über dich; du hast nicht die Freiheit, das zu tun, worauf du Lust hast; du fürchtest dich vor Räubern, falschen Zeugen, Mördern und so weiter, und du bist der Knecht unzähliger Personen, die dir, dank ihrer Stellung, befehlen dürfen. Ist das wahr oder nicht?" - Kondiaronk

Wie Locke etwa hundert Jahre zuvor begründete die amerikanische Unabhängigkeitserklärung Gleichheit, (Recht auf) Leben, Freiheit und das Streben nach Glück aus dem biblischen Schöpfungsglauben Die Menschenrechte haben ihre Wurzeln nicht in der Idee des autonomen Menschen, vielmehr sind sie theonomes Gedankengut, das im Amerika des späten 18. Jahrhunderts weit verbreitet war (Equality by creation, [Gleichheit durch Schöpfung]). Lockes Folgerung aus dem Gleichheitsgrundsatz, dass jede Regierung die Zustimmung der Regierten brauche, benutzten die amerikanischen Revolutionäre als Rechtfertigung für ihre Trennung von der britischen Monarchie.

Für Jean-Jacques Rousseau bedeutete Gerechtigkeit, die dem Menschen angeborene Gleichheit und Freiheit gesellschaftlich zu verwirklichen. Er beurteilte das Privateigentum und die Teilung der Gesellschaft in Besitzende und Nicht-Besitzende kritisch. „Keine Gesellschaft kann ohne Tausch bestehen; kein Tausch ohne gemeinsames Maß und kein gemeinsames Maß ohne Gleichheit. Also muss jede Gesellschaft als erstes Gesetz irgendeine konventionelle Gleichheit haben, entweder zwischen den Menschen oder zwischen den Dingen. Die konventionelle Gleichheit zwischen den Menschen, die von der natürlichen Gleichheit sehr verschieden ist, erfordert das positive (oder gesetzte) Recht, d. h. Regierung und Gesetze.“<ref>Jean-Jacques Rousseau: Emil oder über die Erziehung. Übersetzt von Ludwig Schmidts, 2001, S. 186.</ref>

Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte beruhte nicht mehr auf dem Schöpfungsglauben, sondern auf dem utilitaristischen Konzept des „gemeinsamen Nutzens“ (utilité commune), obwohl zwei der drei Schlagworte der Französischen Revolution – égalité, liberté – aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung stammen. Von diesem Dokument, der Verfassung und der Bill of Rights der Vereinigten Staaten sowie der Französischen Revolution wurde der Gleichheitsgedanke zusammen mit anderen Grundrechten in die Staatsverfassungen zahlreicher Länder weltweit und in die Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen übernommen.

Immanuel Kant leitete die angeborene Gleichheit unmittelbar aus der Freiheit ab. Er erklärte mit dem kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Die angeborene Gleichheit ist nach Kant „die Unabhängigkeit nicht zu Mehrerem von Anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen, sein eigener Herr (sui juris) zu sein.“

Im 20. Jahrhundert formulierte John Rawls Grundsätze zur gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit. Das, was man nicht zu verantworten hat, dürfe kein Verteilungskriterium sein. Unterschiede aufgrund natürlicher Begabung und sozialer Umstände sollen nach Rawls kompensiert werden. Fair sei eine ungleiche Verteilung sozialer Güter, wenn sie sich aus Handlungen und Entscheidungen des Betroffenen ergebe. Jeder soll im Umgang mit Institutionen ein gleiches Recht auf größtmögliche Freiheit haben, die mit derselben Freiheit für alle vereinbar ist. Soziale Ungleichheiten, die durch Institutionen bedingt sind, sind als willkürlich einzustufen, es sei denn, dass sie sich zum Vorteil aller auswirken. Die Positionen und Ämter, mit welchen diese Ungleichheiten zusammenhängen oder durch welche sie sich ergeben, sollen nach Rawls allen offenstehen. „Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen; und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip).“