Industrielle Revolution

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Als Industrielle Revolution wird die tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände bezeichnet, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann und verstärkt im 19. Jahrhundert, zunächst in England, dann in ganz Westeuropa und den USA, seit dem späten 19. Jahrhundert auch in Japan und weiteren Teilen Europas und Asiens zum Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft geführt hat. Als wichtigste an dieser Umwälzung beteiligte Gesellschaftsklassen standen sich kapitalistische Unternehmer und lohnabhängige Proletarier gegenüber.

Die Industrielle Revolution führte zu einer stark beschleunigten Entwicklung von Technik, Produktivität und Wissenschaften, die, begleitet von einer starken Bevölkerungszunahme, mit einer neuartigen Zuspitzung sozialer Missstände einherging: Es kam zu einer Teilverlagerung des Pauperismus vom Lande in die Städte, ohne dass hinreichende Wohnunterkünfte vorhanden waren und in den entstehenden Fabriken, für die Arbeitskräfte gebraucht wurden, konzentrierte sich ein Lohnarbeiterproletariat.„Die breite Masse der Industriearbeiterfamilien lebte immer an der Grenze des physischen Existenzminimums und konnte nur bei kontinuierlicher Arbeit dank anhaltender Gesundheit des Mannes sowie der Mitarbeit der Frau und meist auch der Kinder das bare Mindesteinkommen erzielen, um ihr kümmerliches Dasein fristen zu können.“ Daraus ergab sich als ein gesellschaftspolitisches Kernproblem die soziale Frage, verbunden mit wiederkehrenden Arbeiterunruhen und Bemühungen von Sozialreformern, die akute Not zu lindern und deren Ursachen zu bekämpfen.

In weltgeschichtlicher Perspektive wird der industriellen Revolution eine ähnliche Bedeutung zugemessen wie dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit in der Neolithischen Revolution. "Wenn man den Gesichtspunkt der Daseinsbewältigung in den Vordergrund stellt, gibt es wahrscheinlich doch nur zwei kulturgeschichtlich wirklich entscheidende Zäsuren: jenen neolithischen Übergang von der Jägerkultur zu einer ortsfesten Lebensweise und den modernen zum technisierten Industrialismus. Auch damals war die Transformation unabsehbar tiefgreifend und ging durch die Menschen quer hindurch, sie muß viele Jahrhunderte gedauert haben.“ Bezüglich der industriellen Revolution bildeten sich mit der Zeit zwei Begriffsebenen heraus: Die eine meint die mit der Entstehung der Großindustrie verbundene Epochenbezeichnung, die andere zielt auf einen unabgeschlossenen Prozess fortlaufenden Gesellschaftswandels. Die in vor- und frühindustrieller Zeit am meisten benachteiligten proletarischen Schichten gewannen im weiteren Verlauf der industriellen Revolution auch an Lebensqualität, indem eine große innerstaatliche soziale Ungleichheit zunehmend als Problem begriffen wurde. Breitere Bevölkerungsschichten kamen durch die Arbeit in der Industrie nach organisierten und mehr oder weniger erfolgreichen Arbeitskämpfen zu relativem Wohlstand.

Einige Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler kennzeichneten spätere historische Umbrüche in den Wirtschafts-, Produktions- und Arbeitsformen als zweite und dritte industrielle Revolution (Auch werden technische Fortschritte im Mittelalter, wie der Einsatz von Wassermühlen zum Antrieb von Hämmern, Sägen, Pumpen und Blasebälgen, als „industrielle Revolution“ bezeichnet). Der französische Soziologe Georges Friedmann sprach 1936 erstmals von einer zweiten industriellen Revolution. Er datierte sie auf die Jahrzehnte um 1900 und identifizierte als deren Charakteristika die intensivierte Mechanisierung, den weitverbreiteten Gebrauch von Elektrizität und die Massenproduktion von Gütern (Taylorismus und Fordismus). Die mikroelektronische Revolution seit Mitte der 1970er Jahre wird als technologischer Kern einer neuen, dritten industriellen Revolution angesehen, so zum Beispiel von dem US-amerikanischen Soziologen Daniel Bell.<ref>Daniel Bell: Die dritte technologische Revolution und ihre möglichen sozioökonomischen Konsequenzen. In: Merkur Jg. 44/1990, S. 28 ff. hat den Begriff „vierte industrielle Revolution“ aufkommen lassen (so etwa auf dem Weltwirtschaftsforum 2015 in Davos). Die technologische Grundlage der beschriebenen Informatisierung der Fertigungstechnik und engeren Vernetzung zwischen Produktion und Logistik ist jedoch weiterhin die Mikroelektronik. Der Industrieforscher Hartmut Hirsch-Kreinsen spricht von einer „zweiten Phase der Digitalisierung“.

Die Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen und Eugene Stoermer haben im Jahr 2000 vorgeschlagen, den Zeitraum seit Beginn der Industriellen Revolution als neue Epoche der Erdgeschichte unter der Bezeichnung Anthropozän aufzufassen, da der menschliche Einfluss auf den Planeten seither immer größere Bedeutung bekommt.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Der Begriff der industriellen Revolution kam ursprünglich als Analogie zur Französischen Revolution in Gebrauch. Die Veränderungen der gewerblichen Produktionsformen vor allem in Großbritannien erschienen epochal ähnlich bedeutsam wie der politische Wandel in Frankreich. In diesem Sinne wurde der Begriff zum Beispiel 1827 in einem Bericht der Zeitung Le Moniteur Universel verwendet und ebenso 1837 durch Adolphe Jérôme Blanqui. Dessen Kurzformel „Kaum dem Gehirn der beiden genialen Männer Watt und Arkwright entsprossen, nahm die industrielle Revolution von England Besitz“ gilt mit dem heutigen wirtschaftshistorischen Forschungsstand allerdings als unvereinbar: „Die Sicht der industriellen Revolution als einer Heldengeschichte großer Erfinder bedarf dringend einer Revision“, schrieb 1996 Pierenkemper.

Erstmals als Prozess- und Epochenbegriff verwandte den Terminus industrielle Revolution 1839 der belgische Ökonom und Publizist Natalis Briavoinne in seinem zweibändigen Werk De l'Industrie en Belgique („Über die Industrie in Belgien“). Außerhalb des frankophonen Sprachraums finden sich erste Erwähnungen 1843 bei Wilhelm Schulz in Die Bewegung der Produktion und 1845 in der Schrift Die Lage der arbeitenden Klasse in England von Friedrich Engels. Auch Engels verglich die politische Revolution in Frankreich mit der industriellen Entwicklung in Großbritannien. Für ihn war die industrielle Revolution eine Epochenzäsur: „Die industrielle Revolution hat für England dieselbe Bedeutung wie die politische Revolution für Frankreich und die philosophische Revolution für Deutschland“.

Während der Begriff hier auf die von England ausgehende industrielle Entwicklung begrenzt wurde, hatte Schulz ihn auch bereits auf frühere Epochen angewandt. Darin folgte ihm vor allem die angelsächsische Tradition, z. B. John Stuart Mill. Dieser verwandte den Begriff 1848 zur Kennzeichnung jedes schnellen technologischen und sozialen Wandels. Allgemeine Verbreitung fand der Begriff durch Arnold Toynbee (1852–1883), dem man deshalb lange auch die Prägung des Begriffs zugeschrieben hat. Im 20. Jahrhundert trat das Begriffsverständnis im Sinne von „Zeitalter der Industrialisierung“ stärker hervor.

Unter Historikern üblich ist die Verwendung des Begriffs industrielle Revolution für das Geschehen auf der britischen Hauptinsel etwa zwischen 1750 und 1850, während ansonsten von Industrialisierung gesprochen wird, sofern in einer Volkswirtschaft ein über mehrere Jahrzehnte stetig anhaltendes Pro-Kopf-Wachstum der realen Erzeugung von mehr als 1,5 Prozent vorliegt.