Kalte und heiße Kulturen oder Kulturelemente

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Als kalte und heiße Kulturen oder kalte und heiße Kulturelemente werden in stark abstrahierenden, kulturvergleichenden Modellen entweder ganze Kulturen oder Gesellschaften oder einzelne kulturelle Elemente in Bezug auf die zugrunde liegenden Weltanschauungen und die Bereitschaft zu einem kulturellen und sozialen Wandel eingeordnet. Die Bandbreite erstreckt sich zwischen den beiden (theoretischen) Extremwerten „kalt“ und „heiß“: Je kälter eine Gesellschaft auf der Skala ist, desto ausgeprägter ist ihr Bestreben, ihre traditionellen Kulturmerkmale möglichst unverändert zu bewahren – eine Kultur wird als umso heißer eingeordnet, je größer ihr Antrieb zu tiefgreifenden und schnellen Modernisierungen der Gesellschaft ist.

Am kalten Pol finden sich vor allem herrschaftsfreie und sozial gleichgestellte Ethnien und indigene Völker, die keine dauerhaften Herrscher und kaum ausgeprägte Rangordnungen kennen (vergleiche auch soziologische Theorien der vormodernen Gesellschaft). Der heiße Pol dagegen liegt in stärkster Ausprägung bei den modernen, sozial geschichteten Industriegesellschaften.

Das Modell von kalt und heiß wird in strukturalistischen Studien der Kulturpsychologie, der Ethnologie (Völkerkunde) und der Anthropologie (Menschenkunde) angewendet sowie in abgewandelter Form (Heißes und kaltes Medium nach McLuhan) in den Medienwissenschaften.

Alle Ansätze, die mit solchen „thermischen Metaphern“ arbeiten, nutzen die Polarisierung von Kulturmerkmalen und damit die starke Vereinfachung der Wirklichkeit als Mittel, um grundlegende Muster zu erkennen und zu verdeutlichen. Die Bildung von Stereotypen durch ein Festhalten an der Vereinfachung wird von keinem Autor beabsichtigt.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Der Gegensatz von heiß und kalt bildete schon in der antiken Philosophie eines von mehreren zentralen Gegensatzpaaren, die später vor allem metaphorisch verwendet wurden (z.B. Kalter Krieg im Gegensatz zum „heißen“ Krieg). Die Gegenüberstellung von kalten und heißen Kulturen, Gesellschaften oder ihren Elementen, Sozialbeziehungen und Handlungsstrategien ist heute wieder ein Thema der Ethnopsychologie und kognitiven Anthropologie, die (u.a. am Beispiel der Zubereitung von Speisen) zeigen, dass die Wahrnehmung des Heiß-Kalt-Klassifikationsystems stark kulturabhängig ist.

In seinem Werk Das wilde Denken schlug der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss vor, Kulturen nach ihrer weltanschaulichen Einstellung zum Kulturwandel zu unterscheiden. Er stellte fest, dass „primitive“ und „naturangepasste“ Ethnien komplexe soziale Verhaltenssysteme (Tabus, Rituale, Totemismus, komplizierte mythische Moralkonzepte u. ä.) haben, um jeglichen Wandel der bewährten Lebensweisen so weit wie möglich zu vermeiden. Um die bis dahin verwendeten stark abwertenden Bezeichnungen für diese Völker zu vermeiden (Primitive, Wilde, Naturvölker), schlug er die Bezeichnung kalte Gesellschaften vor. Entsprechend bezeichnete er als heiße Gesellschaften die modernen Zivilisationen, für die eine fortschreitende Entwicklung aller Lebensbereiche kennzeichnend ist.

Während die Klassifizierung von Lévi-Strauss noch auf einer reinen Zweigliederung (Dichotomie) der Kulturen beruhte, erweiterten insbesondere Jan Assmann und Mario Erdheim sie später zu einem fließenden Spektrum zwischen zwei Polen.