Verhaltensbiologie

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Die Verhaltensbiologie ist eine Teildisziplin der Biologie. Verhaltensbiologen beschreiben, lehren und erforschen mit wissenschaftlichen Methoden das Verhalten von Tieren und Menschen. Sie analysieren, durch welche angeborenen und Umwelt-Faktoren Verhalten ausgelöst und gesteuert wird und stellen Vergleiche zwischen Individuen und Arten an. Ferner versuchen sie, das Entstehen von Verhaltensmustern im Verlauf der Stammesgeschichte (Phylogenese) zu rekonstruieren. Die Aussagen und Ergebnisse der Verhaltensforschung finden über die Biologie hinaus auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Kognitionswissenschaft Beachtung.

Historisches[Bearbeiten]

Die genaue Beobachtung und die Analyse des Verhaltens der Tiere durch den Menschen reicht vermutlich bis in die früheste Vorzeit zurück, war dies doch lebensnotwendig, wenn man Tiere jagen wollte. Sicher belegt ist die Erforschung des Tierverhaltens seit dem klassischen Altertum. Schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) hielt in seiner Historia animalium beispielsweise fest, dass es zu untersuchen gelte, ob das Verhalten durch innere Antriebe gesteuert werde und wie man dessen Ursachen erklären könne. Jahrhundertelang wurde das Verhalten von Mensch und Tier allerdings häufig kurzerhand nach folgenden Punkten interpretiert:

  • Vitalistisch: Alle Lebewesen besitzen eine weder physikalisch noch chemisch fassbare „Lebenskraft“, lat. vis vitalis, chin. ;
  • Teleologisch: Die Natur handelt bewusst, also ziel- und zweckgerichtet;
  • Anthropozentrisch: Der Mensch hat eine Sonderstellung inne und ist allen anderen Lebewesen überlegen;
  • Anthropomorph: Den Dingen der Außenwelt werden menschliche Eigenschaften wie Absicht, Einsicht, Tugend, Verstand, Gerechtigkeitsempfinden u. Ä. zugeschrieben.

Wohlhabende Naturbeobachter haben jedoch nicht nur im antiken Griechenland schon vor Jahrhunderten ihre Erkenntnisse über das Verhalten von Tieren – speziell von Vögeln – aufgeschrieben. Ein frühes Beispiel aus dem Hochmittelalter ist das in den 1240er-Jahren von Kaiser Friedrich II. verfasste Werk De arte venandi cum avibus, ein Lehrbuch Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen. Im 16. Jahrhundert veröffentlichte Conrad Gessner in lateinischer Sprache ein „Vogelbuch“ (Avium natura, 1555), und Ulisse Aldrovandi widmete sich wenig später in seinem elfbändigen Werk Historia animalium ebenfalls ausführlich den Vögeln. Im frühen 18. Jahrhundert gab Ferdinand Adam von Pernau sogar einen Ratgeber für Vogelfreunde unter dem Titel Angenehme Land-Lust / Deren man in Städten und auf dem Lande, ohne sonderbare Kosten, unschuldig geniessen kan, Oder von Unterschied / Fang / Einstellung und Abrichtung der Vögel […]. heraus, und in den frühen 1870er-Jahren publizierte Bernard Altum unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit oder Schädlichkeit drei forstzoologische Bände über Säugetiere, Vögel und Insekten. Jean-Henri Fabre wiederum schrieb ab den später 1870er-Jahren mehrere populärwissenschaftliche Abhandlungen über Insekten.

Die im heutigen Sinn wissenschaftliche Analyse des Verhaltens von Tieren begann mit der Frage nach der Ontogenese der Verhaltensweisen und der Herkunft ihrer Angepasstheit – eine Folge von Charles Darwins Hauptwerk Über die Entstehung der Arten; Darwin hatte jahrelang die künstliche Selektion an Haustauben erprobt und so auch den Weg dafür geebnet, Verhalten als in gleicher Weise vererbbar wie körperliche Merkmale zu betrachten. Untersucht wurde zunächst vor allem der sogenannte Instinkt, „ein überkommenes hypothetisches Konstrukt, mit dem man planvolles Handeln der Tiere von dem des Menschen unterscheiden wollte.“ So beschrieb bereits Douglas Alexander Spalding (1840–1877) das später von Oskar Heinroth als Prägung benannte Phänomen. Zudem wurde mit Hilfe der Züchtung von Tieren verhaltensgenetisch experimentiert.

Ihren Eingang in den akademischen Lehrbetrieb der Hochschulen fand die Verhaltensbiologie erst im 20. Jahrhundert, nachdem William Morton Wheeler (der als erster bedeutender Ethologe Nordamerikas gilt) von der Embryologie im Rahmen seiner Professur zum Studium des Verhaltens gewechselt war, John B. Watson – ebenfalls in den USA – ab 1908 dank seiner Professur für experimentelle und vergleichende Psychologie die Grundlagen des Behaviorismus formulierte, Johan Bierens de Haan 1924 in den Niederlanden als Privatdozent für experimentelle Zoologie berufen worden war und im Jahr 1940 Nikolaas Tinbergen in den Niederlanden sowie Konrad Lorenz in Deutschland eine Professur zugesprochen bekommen hatten. Wissenschaftshistorisch betrachtet, ist die Verhaltensbiologie folglich eine gemeinsame „Tochterdisziplin“ von Zoologie und Psychologie und eine Nachbardisziplin der Verhaltensgenetik. Ihre heutigen, äußerst vielgestaltigen Zweige wurzeln in der vorwissenschaftlichen Naturbeobachtung, der Tierpsychologie des 19. Jahrhunderts, dem Behaviorismus und der „klassischen“ vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) des frühen 20. Jahrhunderts. Im anglo-amerikanischen Sprachraum blieb die vergleichende Verhaltensforschung enger an das Fach Psychologie angebunden und wird als Comparative psychology bezeichnet.

Noch die klassische vergleichende Verhaltensforschung beschäftigte sich vorwiegend mit der Frage, wie etwas passiert, also mit den auslösenden Reizen und den körperlichen Mechanismen der Verhaltenssteuerung, das heißt, mit den unmittelbaren (proximaten) Ursachen des Verhaltens; dies traf in besonderem Maße auch auf den Behaviorismus und dessen Reiz-Reaktions-Modell zu. Die neueren Zweige der Verhaltensbiologie – insbesondere die Verhaltensökologie und die Soziobiologie – beschäftigen sich hingegen vorwiegend mit der Frage, warum etwas passiert, also mit der evolutionären Angepasstheit eines Verhaltensmerkmals (mit den ultimaten Ursachen). Die Betonung der Unterscheidung proximate / ultimate Ursachen von Verhalten geht zurück auf den niederländisch-britischen Ethologen Nikolaas Tinbergen.