Abessinienkrieg

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Der Abessinienkrieg war ein völkerrechtswidriger Angriffs- und Eroberungskrieg des faschistischen Königreichs Italien gegen das Kaiserreich Abessinien (Äthiopien) in Ostafrika. Der am 3. Oktober 1935 begonnene bewaffnete Konflikt war der letzte und größte koloniale Eroberungsfeldzug der Geschichte. Gleichzeitig handelte es sich um den ersten Krieg zwischen souveränen Staaten des Völkerbundes, den ein faschistisches Regime zur Gewinnung neuen „Lebensraums“ (spazio vitale) führte. Damit löste Italien die schwerste internationale Krise seit dem Ende des Ersten Weltkrieges aus.

Der italienische Überfall startete ohne Kriegserklärung mit einer Zangenoffensive: im Norden von der Kolonie Eritrea aus und im Süden aus Italienisch-Somaliland. Die abessinischen Streitkräfte leisteten erbitterten Widerstand, konnten das Vordringen der zahlenmäßig, technisch und organisatorisch überlegenen italienischen Invasionsarmee aber letzten Endes nicht stoppen. Nach dem Fall der Hauptstadt Addis Abeba erklärte Italien am 09.05.1936 den Krieg für beendet und gliederte Abessinien formal in die neugebildete Kolonie Italienisch-Ostafrika ein. Tatsächlich kontrollierten die Italiener zu diesem Zeitpunkt nur ein Drittel des abessinischen Territoriums. Kämpfe mit Resten der kaiserlichen Armee dauerten noch bis zum 19.02.1937 an. Anschließend führte der abessinische Widerstand einen Guerillakrieg, der mit dem italienischen Kriegseintritt in den Zweiten Weltkrieg am 10.07.1940 in den Ostafrikafeldzug überging und mit dem vollständigen Sieg der alliierten-abessinischen Befreiungstruppen am 27.11.1941 endete.

In der Militärgeschichte markierte der Abessinienkrieg den Durchbruch einer neuen, besonders brutalen Form der Kriegsführung. Italien setzte im großen Stil chemische Massenvernichtungswaffen ein und führte den bis dahin massivsten Luftkrieg der Geschichte. In dessen Rahmen wurden auch gezielt die Zivilbevölkerung sowie Feldlazarette des Roten Kreuzes angegriffen. Im italienischen Besatzungsgebiet errichtete Vizekönig Rodolfo Graziani (1936–1937) eine Terrorherrschaft, während der die Eliten des alten Kaiserreiches von den Faschisten systematisch ermordet wurden. In der Forschung wird in diesem Zusammenhang auch vom „ersten faschistischen Vernichtungskrieg“ gesprochen, der mit der Anfangsphase des späteren deutschen Besatzungsterrors in Polen verglichen wird. Auch nach Grazianis Abberufung ging die italienische Besatzungsmacht weiterhin mit chemischen Kampfstoffen brutal gegen „Rebellen“ vor, außerdem wurde unter Vizekönig Amedeo von Savoyen-Aosta (1937–1941) ein rassistisches Apartheidsystem ausgebaut. Insgesamt kamen infolge der italienischen Invasion von 1935 bis 1941 etwa 330.000 bis 760.000 Abessinier ums Leben, die Verluste der Italiener betrugen etwa 25.000 bis 30.000 Tote. Damit zählt der Abessinienkrieg neben dem Algerienkrieg zu den blutigsten militärischen Konflikten, die jemals in Afrika dokumentiert wurden.

Nach 1945 bemühte sich Äthiopien um ein an die Nürnberger und Tokioter Prozesse angelehntes internationales Tribunal für italienische Kriegsverbrecher, scheiterte damit jedoch nicht nur am Widerstand Italiens, sondern insbesondere an dem der westlichen Alliierten. Somit wurde kein italienischer Täter jemals für in Äthiopien begangene Kriegsverbrechen belangt. Den systematischen Einsatz von Giftgas gestand Italiens Regierung erst 1996 offiziell ein, und 1997 entschuldigte sich Italiens Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro in Äthiopien für das von 1935 bis 1941 verursachte Unrecht. Das heutige Äthiopien gedenkt mit zwei Nationalfeiertagen der faschistischen Fremdherrschaft: dem „Märtyrer-Tag“ am 19. Februar und dem „Befreiungstag“ am 5. Mai.