Hermann Hesse

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Hermann Karl Hesse, Pseudonym: Emil Sinclair (geb. 02.07.1877 in Calw, gest. 09.08.1962 in Montagnola, Schweiz, heimatberechtigt in Basel und Bern), war ein deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler. Bekanntheit erlangte er mit Prosawerken wie Siddhartha, Der Steppenwolf, Demian, Das Glasperlenspiel sowie Narziß und Goldmund und mit seinen Gedichten (z. B. Stufen). 1946 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen, 1954 wurde er in den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen. Die meisten seiner Werke haben die Suche eines Menschen nach Authentizität, Selbsterkenntnis und Spiritualität zum Thema.

Leben[Bearbeiten]

Kindheit und Jugend (1877–1895)[Bearbeiten]

Elternhaus[Bearbeiten]

Hermann Hesse stammte aus einer evangelischen Missionarsfamilie und wuchs in einer behüteten und intellektuellen Familienatmosphäre auf. Beide Eltern waren im Auftrag der Basler Mission in Indien tätig, wo Hesses Mutter, die Württembergerin Marie Gundert, auch geboren worden war. Sein Vater Johannes Hesse, Sohn des Kreisarztes und Staatsrates Carl Hermann Hesse sowie Enkel eines von Lübeck nach Estland ausgewanderten Kaufmanns, lebte in Weißenstein, Gouvernement Estland, im damaligen Russischen Kaiserreich; damit war auch Hermann von Geburt an russischer Staatsangehöriger. In Calw war Johannes Hesse ab 1873 Mitarbeiter des Calwer Verlagsvereins. Dessen Vorstand war sein Schwiegervater Hermann Gundert, dem er 1893 als Vorstand und Verlagsleiter folgte (bis 1905).

Hermann Hesse hatte acht Geschwister, von denen drei im Kleinkindalter starben. Er wuchs mit den beiden mehrere Jahre älteren Halbbrüdern Theodore und Karl Isenberg auf, Kinder seiner Mutter mit ihrem verstorbenen ersten Ehemann Charles Isenberg. Die weiteren drei Vollgeschwister waren Adele. Hermann Hesse war ein fantasievolles Kind mit ausdrucksstarkem Temperament. Schon früh machte sich sein Talent bemerkbar: Ihm mangelte es nicht an Gedicht-Ideen, und er zeichnete wunderbare Bilder. So schrieb seine Mutter am 02.08.1881 in einem Brief an seinen Vater Johannes Hesse:

Zitat
"[...] der Bursche hat ein Leben, eine Riesenstärke, einen mächtigen Willen und wirklich auch eine Art ganz erstaunlichen Verstand für seine vier Jahre. Wo will’s hinaus? Es zehrt mir ordentlich am Leben dieses innere Kämpfen gegen seinen hohen Tyrannengeist, sein leidenschaftliches Stürmen und Drängen […]
Gott muß diesen stolzen Sinn in Arbeit nehmen, dann wird etwas Edles und Prächtiges draus, aber ich schaudere bei dem Gedanken, was bei falscher oder schwacher Erziehung aus diesem jungen passionierten Menschen werden könnte."

Die Welt, in der Hermann Hesse seine ersten Lebensjahre verbrachte, war einerseits vom Geist des schwäbischen Pietismus geprägt. Andererseits wurde seine Kindheit und Jugend begleitet durch das Baltentum seines Vaters, was Hermann Hesse als „eine wichtige und wirksame Tatsache“ bezeichnete. So war der Vater sowohl in Württemberg als auch in der Schweiz ein unangepasster Fremder, der nirgendwo Wurzeln schlug und „immer wie ein sehr höflicher, sehr fremder und einsamer, wenig verstandener Gast“ wirkte. Hinzu kam, dass die Familie auch mütterlicherseits der weitgehend internationalen Gemeinschaft der Missionsleute angehörte und dass seine aus dieser Linie stammende Großmutter Julie Gundert, geb. Dubois (1809–1885) als französischsprachige Schweizerin ebenfalls zeitlebens eine Fremde in der schwäbisch-kleinbürgerlichen Welt blieb.

Erlebnisse und Begebenheiten aus seiner Kindheit und Jugend in Calw, die Atmosphäre und Abenteuer am Fluss, die Brücke, die Kapelle, die eng aneinander liegenden Häuser, versteckte Winkel und Ecken sowie die Bewohner mit all ihren liebenswerten Eigenarten oder Schrullen hat Hesse in seinen frühen Gerbersau-Erzählungen beschrieben und zum Leben erweckt. In Hesses Jugendzeit wurde diese Atmosphäre unter anderem noch stark von der alteingesessenen Zunft der Gerber geprägt. Auf der Nikolausbrücke, seinem Lieblingsort in Calw, hielt Hesse sich oft und gern auf. Daher ist 2002 dort die oben abgebildete, von Tassotti geschaffene lebensgroße Hesse-Skulptur aufgestellt worden.

Ein mehr von innen her wirkendes Gegengewicht zum Pietismus war die immer wieder in den Erzählungen des Vaters Johannes Hesse aufleuchtende Welt Estlands. „Eine überaus heitere, bei aller Christlichkeit sehr lebensfrohe Welt […] nichts wünschten wir sehnlicher, als auch einmal dieses Estland […] zu sehen, wo das Leben so paradiesisch, so bunt und lustig war.“

Zudem stand Hermann Hesse die umfassende Bibliothek seines gelehrten Großvaters Hermann Gundert mit Werken der Weltliteratur zur Verfügung, die er sich intensiv erschloss. All diese Komponenten eines Weltbürgertums „waren die Grundlagen für eine Isolierung und für ein Gefeitsein gegen jeden Nationalismus, die in meinem Leben bestimmend gewesen sind“.

Schulische Ausbildung[Bearbeiten]

1881 zog die Familie für fünf Jahre nach Basel. Der Vater Johannes erwarb 1882 das Basler Bürgerrecht, wodurch die gesamte Familie zu Schweizer Staatsbürgern wurde. Ab 1885 war Hesse Schüler in der Internatsschule der Mission, genannt Knabenhaus. In der „Basler Mission“ unterrichtete Hermann Hesses Vater. Im Juli 1886 zog die Familie wieder nach Calw, wo Hesse zunächst in die zweite Klasse der Calwer Lateinschule (Reallyzeum) eintrat. Er wechselte 1890 auf die Lateinschule in Göppingen zur Vorbereitung auf das württembergische Landexamen, das Württembergern eine kostenlose Ausbildung zum Landesbeamten oder Pfarrer erlaubte. Deshalb erwarb der Vater im November 1890 für ihn als einziges Mitglied der Familie die württembergische Staatsangehörigkeit, wodurch er das Schweizer Bürgerrecht verlor. Nachdem er 1891 in Stuttgart das Landexamen bestanden hatte, besuchte er, für die Theologenlaufbahn bestimmt, das evangelisch-theologische Seminar im Kloster Maulbronn. In Maulbronn zeigte sich im März 1892 der „rebellische“ Charakter des Schülers: Er entwich aus dem Seminar, weil er „entweder ein Dichter oder gar nichts“ werden wollte, und wurde erst einen Tag später auf freiem Feld aufgegriffen.

Nun begann, begleitet von heftigen Konflikten mit den Eltern, eine Odyssee durch verschiedene Anstalten und Schulen. Im Alter von 14 Jahren befand sich Hermann Hesse vermutlich in einer depressiven Phase und äußerte in einem Brief vom 20. März 1892 Suizidgedanken („Ich möchte hingehen wie das Abendrot“). Im Mai 1892 versuchte der Jugendliche einen Suizid mit einem Revolver in der vom Theologen und Seelsorger Christoph Friedrich Blumhardt geleiteten Anstalt Bad Boll. Im Anschluss daran wurde Hesse von seinen Eltern in die Nervenheilanstalt im damaligen Stetten im Remstal (der heutigen Diakonie Stetten e. V. in Kernen im Remstal) bei Stuttgart gebracht, wo er im Garten arbeiten und beim Unterrichten geistig behinderter Kinder helfen musste.

Hier kulminierten pubertärer Trotz, Einsamkeit und das Gefühl, von seiner Familie unverstanden verstoßen zu sein. In dem berühmten anklagenden Brief vom 14.09.1892 an seinen Vater titulierte er diesen, nunmehr deutlich Abstand einnehmend, mit „Sehr geehrter Herr!“, dies im Gegensatz zu früheren, zum Teil offenen, sehr mitteilsamen Briefen. Zudem versah er den Brieftext mit aggressiv-ironisierenden und sarkastischen Formulierungen. So wies er (zusätzlich zur eigenen Person) auch seinem Vater bereits im Vorfeld die Schuld an möglichen zukünftigen „Verbrechen“ zu, die er, Hermann, infolge seines Aufenthaltes in Stetten als „Welthasser“ begehen könnte. Schließlich unterzeichnete er als „H. Hesse, Gefangener im Zuchthaus zu Stetten“. Im Nachsatz fügte er hinzu: „Ich beginne mir Gedanken zu machen, wer in dieser Affaire schwachsinnig ist.“ Er fühlte sich von Gott, den Eltern und der Welt verlassen und sah hinter den starren pietistisch-religiösen Traditionen der Familie nur noch Scheinheiligkeit.

Ab Ende 1892 konnte er das Gymnasium in Cannstatt besuchen. 1893 bestand er dort zwar das Einjährigen-Examen, brach aber die Schule ab.

Lehre[Bearbeiten]

Nachdem er seiner ersten Buchhändlerlehre in Esslingen am Neckar nach drei Tagen entlaufen war, begann Hesse im Frühsommer 1894 für 14 Monate eine Mechanikerlehre in der Turmuhrenfabrik Perrot in Calw. Die monotone Arbeit des Lötens und Feilens bestärkte in ihm alsbald den Wunsch, sich wieder der Literatur und geistiger Auseinandersetzung zuzuwenden. Im Oktober 1895 war er bereit, eine neue Buchhändlerlehre in Tübingen zu beginnen und ernsthaft zu betreiben. Die Erfahrungen seiner Jugend hat er später in seinem Roman Unterm Rad verarbeitet.