Hirsche

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Die Hirsche (Cervidae) oder Geweihträger sind eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Paarhufer (Artiodactyla). Die Familie umfasst mehr als 80 Arten, von denen unter anderem der Rothirsch, der Damhirsch, das Reh, das Ren und der Elch auch in Europa verbreitet sind. Darüber hinaus kommen Hirsche in Asien, Nord- und Südamerika und mit einem Vertreter in Afrika vor. Markantestes Kennzeichen der Hirsche sind die an Gestalt variantenreichen, meist nur von den Männchen getragenen Geweihe, die jährlich abgeworfen und neu gebildet werden. Die hauptsächliche Nahrung der Tiere besteht aus Pflanzen, wobei weiche und harte Pflanzenteile im unterschiedlichen Maß konsumiert werden. Reine Grasfresser wie bei den Hornträgern kommen bei den Hirschen aber nicht vor, was mit der Ausbildung des Geweihs zusammenhängt. Das Sozialverhalten der Tiere ist sehr unterschiedlich und reicht von einzelgängerischen Individuen bis zur Bildung großer, weit umherwandernder Herden. Die Fortpflanzungsphase ist von charakteristischen Dominanzkämpfen geprägt.

Die systematische Einteilung der Hirsche war und ist Gegenstand zahlreicher Debatten. Häufig wurde eine Aufteilung in mehrere Unterfamilien vorgeschlagen. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass sich die Hirsche auf anatomischen Weg in zwei große Gruppen einteilen lassen, wovon eine mehr oder weniger auf Eurasien, die andere auf Amerika beschränkt ist. In jüngerer Zeit konnte durch molekulargenetische Analysen diese Zweiteilung untermauert werden. Die Stammesgeschichte der Hirsche reicht bis in das Untere Miozän vor rund 20 Millionen Jahren zurück. Die frühesten Formen unterschieden sich aber teilweise deutlich von den heutigen Arten und wechselten ihre Stirnwaffen höchstwahrscheinlich nicht in einem jährlichen Zyklus. Das heutige Erscheinungsbild und Verhalten bildete sich erst im weiteren Verlauf des Miozän heraus.

Merkmale[Bearbeiten]

Allgemeines[Bearbeiten]

Die Größe der Hirsche variiert erheblich: die Kopf-Rumpf-Länge schwankt zwischen 70 und 310 cm, die Schulterhöhe zwischen 30 und 190 cm und das Gewicht zwischen 5,5 und 770 kg. Der kleinste lebende Vertreter ist der Nordpudu (Pudu mephistophiles), der größte der Elch (Alces alces). Bei den meisten Arten mit Ausnahme des Muntjak (Muntiacus muntjak) herrscht ein Geschlechtsdimorphismus hinsichtlich der Größe vor. Dabei sind beim Tenasserim-Muntjak (Muntiacus feae) und beim Wasserreh (Hydropotes inermis) die Weibchen zumeist größer als die Männchen, bei allen anderen Vertretern wird das Männchen deutlich größer und schwerer als das Weibchen. Auch die Körperform ist variabel, innerhalb der Familie können zwei generelle Baupläne unterschieden werden. Der eine umfasst Tiere mit einem gedrungenen Körperbau, kurzem Nacken, gerundetem Rücken sowie kräftigen Hinterbeinen und weniger gut entwickelten Vorderbeinen. Hierbei handelt es sich um meist kleinere Vertreter wie die Pudus, die Muntjakhirsche oder die Spießhirsche, die noch an urtümliche Paarhufer erinnern und nur kurze, spießartige Geweihe besitzen. Es sind häufig Bewohner dichter Wälder oder von Landschaften mit üppiger Vegetation, in der sie sich schnell springend fortbewegen können. Daneben zeichnet sich der zweite Bauplan durch schlanke Tiere mit vergleichsweise langen Gliedmaßen und einem mehrfach gegliederten Geweih aus. Die Angehörigen bewohnen überwiegend offenere Landschaften und stellen gute Läufer dar. In beiden Bauplänen ist der Schwanz eher stummelartig kurz. Das Fell besitzt bei den Waldbewohnern überwiegend eine tarnende braune oder graue Färbung, bei einigen Arten offenerer Landschaften wie dem Prinz-Alfred-Hirsch (Rusa alfredi) oder dem Axishirsch (Axis axis) hat sich ein gepunktetes Fellkleid herausgebildet, ansonsten treten häufig Akzentuierungen des Kopfes und des Hinterteils auf. Der Kopf ist in der Regel langgestreckt, die Ohren sind groß und aufgerichtet. Darüber hinaus besitzen Hirsche drei Arten von Drüsen: Bei fast allen Vertretern sind Voraugendrüsen ausgebildet, zudem kommen außer bei den Muntjakhirschen Metatarsalbürsten an den Hinterbeinen vor. Die meisten Vertreter der Trughirsche verfügen zusätzlich auch über Interdigitaldrüsen.

Geweih[Bearbeiten]

Kennzeichnend für die Hirsche ist ihr Geweih, eine paarige Bildung, die am Stirnbein (Os frontale) aus zapfenförmigen Knochengebilden, „Rosenstöcke“ genannt, hervorwächst. Mit diesen ist das Geweih über eine knöcherne Verdickung, die sogenannte „Rose“, verbunden. Es besteht aus Knochensubstanz, den größten Anteil bildet dabei Hydroxylapatit, ein kristallisiertes Kalziumphosphat, das gut 30% des Geweihs ausmacht. Die Form des Geweihs hängt vom Alter und der Art ab; bei manchen Arten sind es einfache, spießförmige Gebilde, bei anderen weist es weitverzweigte oder schaufelförmige Formen mit zahlreichen Spitzen auf. Das größte Geweih heutiger Hirsche mit einem Gewicht von bis zu 35 kg besitzt der Elch. Vergleichbar den Langknochen formt bei den großen und komplexen Geweihen einiger Hirscharten eine kompakte Schicht mit lamellarem Aufbau den äußeren Mantel, während das Innere spongiös ist, allerdings fehlt eine Markröhre. Die spongiöse Beschaffenheit des Kerns erhöht die Elastizität der Struktur. Die Stangenspitzen und Sprossen bestehen allein aus kompakter Knochenmasse. Letzteres gilt auch für die einfachen und kleineren, wenig verzweigten Geweihe von verschiedenen Hirschvertretern wie den Muntjakhirschen. Mit Ausnahme des Wasserrehs haben alle Hirscharten Geweihe. Doch ist es nur beim Ren (Rangifer tarandus) auch bei beiden Geschlechtern ausgebildet, ansonsten ist es ein exklusives Merkmal der Männchen. Bei diesen dient es dem Imponierverhalten und Kämpfen um das Paarungsvorrecht.

Im Unterschied zu den Hörnern der Hornträger ist das Geweih keine permanente Bildung, sondern wird im jährlichen Zyklus erneuert. Die Bildung ist dabei an den Testosteronhaushalt der Männchen gekoppelt (beim Ren möglicherweise auch an das Estradiol, das in beiden Geschlechtern in größerer Menge produziert wird). Während der Wachstumsphase wird das Geweih von einer kurzbehaarten Haut, Bast genannt, überzogen, die reich an Arterien und Venen ist und die Struktur somit mit Blut und Nährstoffen versorgt. Abweichend von normaler Haut fehlen Schweißdrüsen und ähnliches. Die Wachstumsrate des Geweihs ist dabei enorm und kann bei großen Hirschen wie dem Wapiti (Cervus canadensis) bei 2,8 cm täglich liegen oder beim Elch 417 g betragen, womit das Geweih eines der am schnellsten wachsenden Organe innerhalb der Säugetiere darstellt. Allerdings ist die Ausbildung des Geweihes sehr kostenintensiv, da teilweise Mineralien aus dem Skelett mobilisiert werden müssen, was bei einigen Arten zu einer zeitweiligen Osteoporose führt. Sobald es seine volle Größe erreicht hat, trocknet die äußere Hautschicht durch Versiegen der Blutzufuhr ein und juckt, weswegen sie abgestreift oder gefegt wird. Zurück bleibt eine dunkle und weitgehend abgestorbene Knochenstruktur, die mit dem lebenden „Rosenstock“ verbunden ist und über mehrere Monate getragen wird.

Das Geweih wird jedes Jahr nach der Paarungszeit abgeworfen und anschließend neu gebildet. Der Abwurf des Geweihs ist mit dem Absinken des Testosteronspiegels verbunden, wodurch kurzfristig Osteoklaste aktiviert werden, die den Knochen am Ende des „Rosenstocks“ (der „Rose“) auflösen. Die anschließende Verheilung der Wunde ist wohl der Auslöser des nächsten Geweihwachstums. Zwischen Abwurf und Neubildung liegt bei den meisten Hirschen ein zeitlicher Abstand von einem bis zwei Monaten, bei den Echten Hirschen kann dies unmittelbar aufeinander folgen. Bei Arten mit fester Paarungszeit fällt dieses Abwerfen in eine bestimmte Jahreszeit (beim Reh und beim männlichen Rentier in den Spätherbst, beim weiblichen Rentier und den anderen europäischen Arten in den Spätwinter oder Frühling); bei Arten in tropischen Regionen gibt es keinen festen Zeitpunkt hierfür. Die Bildung des Geweihs setzt bereits im juvenilen Stadium ein und beginnt bei den Trughirschen und den Muntjakhirschen im ersten Lebensjahr, bei den Echten Hirschen ab dem zweiten Lebensjahr. Dabei bilden sich zuerst kleinere Spieße, die komplexen Geweihstrukturen entstehen mit dem zunehmenden Lebensalter. Der Prozess des periodischen Abwurfs und der Wiederausbildung des Geweihs war schon bei den frühesten Hirschen im Unteren Miozän ausgeprägt.

Phylogenetischen Analysen zufolge besaß der letzte gemeinsame Vorfahre der heutigen Hirsche ein zweigeteiltes Geweih mit der (unteren) Geweihstange und dem Augspross. Diese ursprüngliche Variante ist heute lediglich noch bei den Muntjakhirschen erhalten. Drei- und mehrspitzige Geweihe entwickelten sich innerhalb der Echten Hirsche und der Trughirsche unabhängig voneinander. Dabei kam es auch zu einer vielfachen Umgestaltung. Innerhalb der Echten Hirsche entstand so auch das komplexe Geweih des Rothirschs (Cervus elaphus) und des Wapitis, das im Idealfall aus dem Augspross, dem Eisspross, dem Mittelspross und der Krone mit drei Enden besteht, die über den unteren und höheren Stangenabschnitt miteinander verbunden sind. Nahezu identisch findet sich dies beim Sikahirsch (Cervus nippon) wieder, der allerdings seinen Eisspross verlor. Der Damhirsch (Dama dama) bildete zusätzlich noch einen Leitspross aus sowie eine schaufelförmige Verbreiterung des höheren Stangenabschnitts. Die Barasinghas hingegen reduzierten den Eisspross und den höheren Stangenabschnitt, dafür entwickelten sich ein vertikaler und ein hinterer Stangenabschnitt mit zusätzlichen Sprossen. Bei den Leierhirschen und dem Davidshirsch (Elaphurus davidianus) wiederum fehlt der höhere Stangenabschnitt weitgehend, zusätzlich kommen aber mehrere kakuminale Sprossen und ein medialer Spross am unteren Stangenabschnitt vor, wie auch bei letzterer Art sich der Augspross vergrößerte und in zwei Enden aufteilte. Eine etwas andere Entwicklung nahm das Geweih innerhalb der Trughirsche, dessen ursprünglichste Form sich noch beim Reh (Capreolus capreolus) findet. Der komplexe höhere Stangenabschnitt fehlt, dafür setzte sich ein Stirnspross ab. Andere Formen besitzen anstatt des höheren einen sekundär ausgebildeten oberen Stangenabschnitt mit zusätzlichen Sprossen wie dem Rückspross und den Endsprossen, etwa beim Ren oder den Vertretern der Echten Trughirsche. Der Elch hingegen weist keinen Aug- und Frontalspross auf, dafür aber überdimensionierte Endsprossen. Lediglich das Wasserreh verlor das komplette Geweih.

Das Wachstum des Geweihs wird genetisch gesteuert unter Beteiligung von Genen, die auch für die Bildung von Haut, Knochen und Nerven verantwortlich sind. In diesem Punkt stimmt die Geweihbildung mit der Ausformung ähnlicher Strukturen bei anderen Stirnwaffenträgern überein. Im Unterschied zu letzteren sind bei den Hirschen evolutiv zusätzlich Gene involviert, die ursprünglich der Unterdrückung von Tumoren dienten und wahrscheinlich den jährlichen Zyklus des Geweihs kontrollieren. Ihre Einbindung in das Geweihwachstum könnte eine Erklärung für die relativ niedrige Krebsanfälligkeit der Hirsche sein.

Systematik[Bearbeiten]