Deszendenzregeln

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Deszendenzregeln (lateinisch descendere „herabsteigen, nachkommen“) oder Abstammungsregeln (auch: Filiation) bezeichnen in der Ethnosoziologie diejenigen sozialen Vorstellungen und Normen, die vorgeben, ob eine Person ihre Abstammung von beiden Elternteilen oder nur von Mutter oder Vater herleitet, und wer dementsprechend zu ihrer Verwandtschaft und Vorfahrenschaft gehört. In einer (ethnischen) Gesellschaft bestimmt die geltende Abstammungsregel die Erbfolge von Besitz und sozialen Positionen sowie die Übertragung von Gruppenzugehörigkeiten, Ämtern und Privilegien von einer Generation auf die Nächste. Eine Abstammungsregel orientiert sich nicht notwendigerweise an biologischer Verwandtschaft – sofern sie das beansprucht, muss sie aber nicht immer den Tatsachen entsprechen, vor allem in Bezug auf biologische Vaterschaft (siehe Kuckuckskinder) und nur mündlich überlieferte Vorfahren-Generationen (siehe Herkunftssagen).

Die sechs verbreiteten Abstammungsregeln teilen sich in zwei Gruppen:

  1. Unilinear (einlinig): Abstammung von nur einer geschlechtlichen Vorfahrenlinie, mutter- oder vaterseitig (insgesamt 68 % der weltweit 1300 Ethnien und indigenen Völker). Diese Gruppe enthält die weit verbreitete patrilineare Herleitung von den Vätern (46 %) und die weniger verbreitete matrilineare Herleitung von den Müttern (13%), sowie die drei Abstammungskonzepte der Bilinearität, Ambilinearität und Parallelität, bei denen die eine oder die andere Linie in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen eine Rolle spielt (zusammen 9%)
  2. Kognatisch, bilateral (beidseitig): Herleitung von beiden Linien gleichzeitig, von Mutter und Vater, wie auch in modernen Gesellschaften üblich (28%)

Mit den jeweiligen Deszendenzregeln sind entsprechende Heiratsregeln sowie Residenzregeln zum ehelichen Wohnsitz verbunden.

Unilineare Abstammung[Bearbeiten]

Bei einer unilinearen Abstammungsregel (lateinisch „einlinig“) leitet sich eine Person von nur einer geschlechtlichen Linie seiner Vorfahren ab, entweder patrilinear von der ausschließlich männlichen Linie seiner Vorväter – oder matrilinear von der ausschließlich weiblichen Linie der Mutter, deren Mutter und so weiter zurückgehend. Beide Linien haben eine Bedeutung bei der bilinearen (zweilinigen), der ambilinearen (wählbaren) und der parallelen Abstammungsregel, die in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zur Geltung kommen. Manche Ethnosoziologen ordnen dabei die ambilineare Abstammung der zweiten Hauptgruppe zu, als eine Form der kognatisch-bilateralen (beidseitigen) Abstammung.

Unilineare Abstammungssysteme finden sich in vielen nicht-staatenbildenden Gesellschaften und ethnischen Gruppen, in denen es wichtige Güter aufzuteilen und zu vererben gilt, vor allem Landbesitz und Vieh. Deshalb entwickelten Ackerbau- und Viehzuchtgesellschaften (Zentralasien, vorderer Orient, Ostafrika) weit häufiger unilinear organisierte Verwandtschaften als Jäger und Sammler (Wildbeuter). Die sesshafte Lebensweise fördert die territoriale Identifikation und die Betonung der Gruppengemeinschaft.

68% der 1267 im Ethnographischen Atlas 1998 erfassten Ethnien und indigenen Völker ordnen ihre Abstammung und Verwandtschaft unilinear (856):

  • 46% patrilinear (584): ausschließlich über die Väterlinie
  • 13% matrilinear (160): ausschließlich über die Mütterlinie
  • 4% bilinear (52): doppelt, über beide Linien, je eine nach sozialem Zusammenhang
  • 4% ambilinear (49): eine selbst gewählte, von der Mutter oder vom Vater übernommene gemischte Linie
  • 1% parallel (11): die Mutter überträgt ihre Linie an Töchter, der Vater seine an Söhne