Jäger und Sammler

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Als Jäger und Sammler oder Wild- und Feldbeuter werden in der Anthropologie und Ethnologie (Völkerkunde) lokale Gemeinschaften und indigene Völker bezeichnet, die ihre Nahrung größtenteils durch die Jagd auf Wildtiere, den Fischfang sowie durch das Sammeln von wildwachsenden Pflanzen oder Kleintieren erwirtschaften. Karl-Heinz Kohl betrachtet die Bezeichnung Wildbeuter als abwertende Bezeichnung (lässt „Ausbeutung“ anklingen), auf die zu verzichten sei. Tatsächlich erfordert diese Lebensweise ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und speziellen Kenntnissen.

Häufig wird eine Unterscheidung zwischen unspezialisierten (auch einfachen) und spezialisierten (auch komplexen oder differenzierten) Jäger- und Sammlerkulturen vorgenommen. Die Erstgenannten nutzen ein sehr breites, jedoch variierendes Nahrungsangebot in sehr großen Schweifgebieten, in denen sie in kleinen Horden saisonal nomadisieren. Die Letztgenannten nutzen vor allem eine oder mehrere bestimmte, lokal häufig vorkommende Arten, die größere Gruppen und längere Zeiten der Sesshaftigkeit ermöglichen.

Die Subsistenzform des Jagens, Fischens und Sammelns – eine aneignende oder „extraktive“ Lebensweise, durch die die Reproduktion der natürlichen Ressourcen nicht gezielt und bewusst beeinflusst wird – ist die älteste traditionelle Wirtschaftsform der Menschheit. Das heißt nicht, dass die Jäger und Sammler im Laufe langer Zeiträume keinen relevanten Einfluss auf das ökologische System ihres Lebensraumes hatten.

Die Zuordnung der einzelnen Wirtschaftsweisen ist in der Literatur nicht einheitlich: So unterscheiden etwa Lomax und Arensberg „Jäger und Fischer“ von „Sammlern“ und Hans-Peter Müller separiert die „Fischer“ von den „Jägern und Sammlern“, wenn sie überwiegend von Fisch leben.

Die Lebensweise vieler Jäger- und Sammlergesellschaften lässt sich heute nur noch aus archäologischen Funden rekonstruieren. Die schriftlichen Berichte früher Expeditionen sind nicht immer zuverlässig. So ist in vielen konkreten Fällen die Beantwortung der Frage schwierig oder auch strittig, ob es sich bei der Lebensweise untergegangener wie auch bestehender Wildbeuterkulturen um eine autonome und ursprüngliche, oder eine durch Kulturkontakte übernommene, oder durch vorteilhaften Austausch entstandene spezialisierte Lebensweise, oder gar um ein durch Isolation und Abdrängung von Völkern in Wüsten und Halbwüsten entstandenes Sekundärphänomen der nach-neolithischen Periode handelt.

In jedem Fall wird davon ausgegangen, dass in vielen Regionen (beispielsweise Zentralafrika, Südamerika, Indien) jahrtausendelang rege Austauschbeziehungen zwischen Wildbeutern und Pflanzern bestanden (etwa Wildbret oder Hilfeleistungen gegen landwirtschaftliche Produkte), so dass eine isolierte Betrachtung der extraktiven Lebensweise irreführend sein kann.

Um 1.500 n. Chr. war noch etwa die Hälfte der bewohnbaren Landfläche der Erde von Jägern und Sammlern besiedelt. Zur gleichen Zeit lag ihr Anteil an der Weltbevölkerung jedoch nur bei geschätzten 1%, gegenwärtig sind es weniger als 0,001 %: geschätzte 50.000 bis 60.000 Menschen, mit rückläufiger Tendenz.

Es ist sehr schwierig festzustellen, wie viele Menschen heute weltweit von Jagd- und Sammelwirtschaft leben, da gegenwärtig vielfach zusätzliche Subsistenz- und Erwerbsformen genutzt werden. Die Anzahl der Menschen, deren Lebensgrundlage zum größten Teil auf extraktiven Tätigkeiten beruht, liegt maximal bei 3,8 Millionen. Für die 2020er Jahre gehen Ethnologen von höchstens fünf bis zehn weitgehend intakten Wildbeutergesellschaften ohne westliche Einflüsse und Technologien aus.

Soziale Organisation[Bearbeiten]

Meist haben die mobilen unspezialisierten Jäger- und Sammlergruppen 20 bis maximal 50 Mitglieder. Die Anthropologie geht davon aus, dass die Stärke solcher Gruppen auch in der Vorgeschichte immer unter 100 Köpfen lag. Für die sesshaften spezialisierten Wild-, Fisch- und Feldbeuter lagen die Zahlen deutlich höher (Beispiele: Blackfoot – berittene Bisonjäger: 80 bis 160 Personen, Calusa – Fischer in Florida: < 2.000 Personen)

Die Gruppen sind in Kleinfamilien gegliedert, die saisonal auch getrennt auf Nahrungssuche gehen. Wildbeuter-Gesellschaften leben und arbeiten als herrschaftsfreie (akephale) „Horden“ und sind häufig in einzelnen Segmenten organisiert, beispielsweise gebunden an verwandtschaftliche Clan-Linien. Bei günstigen Umweltbedingungen schließen sich mehrere Horden manchmal zeitweilig zu größeren Einheiten zusammen.

Der Einfluss des Einzelnen beruht auf Tüchtigkeit und Fähigkeit. Vollzeitspezialisten für einzelne Tätigkeiten sind unbekannt, obgleich es gewisse Personen mit besonderen Kenntnissen und Fertigkeiten gibt (vor allem die Medizinleute). Bei unspezialisierten Wildbeutern wird Wild in der Regel auf alle Gruppenmitglieder aufgeteilt, während Sammelnahrung zumeist nur der eigenen Familie zugutekommt.

Die Partnerwahl erfolgt außerhalb der Horde (exogam), jedoch zumeist innerhalb der eigenen Ethnie, die sich zur Wiedererkennung nicht selten in totemistische Clans gliedert. Bis auf Ausnahmen, die im Allgemeinen durch Akkulturation erklärt wurden, ziehen die Frauen zur Horde des Mannes (Patrilokalität).

Seit Ende der 1960er Jahre wird allerdings die These, dass die Jäger und Sammler isoliert und stationär wirtschaften, als Resultat von Untersuchungsmethoden angesehen, die vor allem die sozialen Exklusionsmechanismen wie Exogamie und Patrilokalität betrachten. So gehen Richard Fox und Nurit H. Bird-David davon aus, dass die räumlichen und sozialen Grenzen vieler lokaler Gemeinschaften gegenüber benachbarten Ethnien weitaus offener sind, als vormals angenommen wurde, und dass ihre Wirtschaftsweise oft sogar auf Austausch angelegt ist.

Arbeitsteilung[Bearbeiten]

Bei fast allen heutigen Wildbeutern wurde eine Aufteilung der Arbeit nach Alter und nach Geschlecht festgestellt und ethnographisch beschrieben. Das bis heute in der medialen Öffentlichkeit häufig gezeichnete Bild vom jagenden Mann und der sammelnden Frau ist jedoch ein Rollenklischee, das so nicht stimmt und das in der Wissenschaft längst überholt ist. Es wurde früher von Forschern des englischen Sprachraumes gestützt, indem sie – selbst bei denselben (kleinen) Beutetieren – bei Männern den Ausdruck hunt (jagen) verwendeten und bei Frauen „nur“ von collect (sammeln) sprachen. Dabei ist allerdings meisten unklar, ob diese Unterscheidung von den Ethnographen oder den Befragten stammte.

Eine Auswertung der Aufzeichnungen über Jäger- und Sammlergemeinschaften der Erde über die letzten 100 Jahre zeigte 2023, dass Frauen in 79 Prozent der untersuchten Gruppen aktiv an der Jagd beteiligt waren. Dabei muss allerdings offen bleiben, wie groß der Anteil der Jägerinnen an den Gemeinschaften war. Außerdem gaben sie vielfach Jagdwissen an die Kinder weiter und nutzten eine größere Zahl verschiedener Waffen und Jagdtechniken als die Männer. Aufgrund der körperlichen Unterschiede, ohne Betrachtung möglicher sozialer Rollenverteilungen, ist jedoch davon auszugehen, dass Männer eher jagten und Frauen eher sammelten.

Bereits in der Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers von 1999 wurde ein differenziertes Bild vermittelt: In Kulturen, die vorwiegend von Sammelwirtschaft leben, wird diese Tätigkeit meistens von Frauen ausgeführt. Eine soziale Festlegung darauf ist jedoch nur in manchen Kulturen zu finden. Häufig sammeln auch die Männer, in der Regel jedoch in der Summe weniger als die Frauen. Der Anteil der Männer an den Jagden ist daher meistens größer. Auffallend ist die Tatsache, dass die Jagdwaffen von Männern und Frauen in aller Regel unterschiedlich sind.

Häufig wird in der Literatur beschrieben, dass Männer überwiegend für die Jagd großer Land- und Wassertiere verantwortlich sind; während Frauen, Kinder und teilweise Jugendliche sich auf das Erlegen kleiner Tiere konzentrieren, sowie das Sammeln von pflanzlicher Nahrung und beim Treiben und bei der Verarbeitung des erjagten Großwilds helfen. Eine Ausnahme bilden die Aeta auf den Philippinen: Dort sind die Frauen die vorrangigen Jägerinnen.

Die Aufgaben für einzelne Personen können sich dabei je nach Umständen und sich eröffnenden Möglichkeiten ändern. So wurde von Witwen oder bruderlosen Töchtern berichtet, die zu Jägerinnen wurden. Bot sich eine gute Gelegenheit oder bestand die Nahrungsgrundlage fast ausschließlich aus Pflanzenkost, sammelten auch Männer pflanzliche Nahrung. Die Rolle von Kindern ist weniger gut dokumentiert und war anscheinend variabler. Tlw. waren ältere Kinder für einen gewissen Anteil ihrer eigenen Ernährung selbst zuständig, manchmal wurden sie sogar vorübergehend zu Spezialisten.

Die tendenzielle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen war nicht rein physiologisch oder psychologisch bedingt, sondern zu bedeutenden Anteilen erlernt. Erklärungen für die geschlechtliche Arbeitsteilung sind:

  • Die Arbeitsteilung ist Resultat von Unterschieden bei Elternaufwand und Unklarheit bezüglich der Verwandtschaftsbeziehung mit einem Kind. Die Nahrungsbeschaffung durch Männer hat in manchen Fällen mehr mit sozialem Ansehen und Prestige sowie sozialen Funktionen zu tun als mit der Ernährung der eigenen Kinder.
  • Die Vermeidung gefährlicher Nahrungsmittelbeschaffung durch Frauen und Kinder schützt den fortpflanzungs­fähigen Kern einer Population.
  • Schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern beschränken sich bei der Nahrungsbeschaffung auf Aktivitäten, die unterbrochen werden können und keine große Mobilität erfordern.
  • Hinsichtlich der Arbeitszeit, die von den beiden Geschlechtern aufgewendet wird, gibt es keine allgemeine Regel. Ein Vergleich der Daten von 93 verschiedenen Ethnien hat gezeigt, dass es bei den meisten (54 Ethnien) keinen großen Unterschied gibt. Die von feministischen Autorinnen wie Maria Mies vertretene These, dass der Beitrag der Frauen erheblich größer sei, trifft nur bei wenigen Ethnien zu.

Drei allgemeine Tendenzen bezüglich Arbeitsteilung bei der Nahrungsbeschaffung spielen eine besondere Rolle:

  • Großwild und allgemein tierische Nahrungsmittel sind in höheren geographischen Breiten von größerer Bedeutung als in tropischen Gegenden. In manchen arktischen Gebieten gibt es beispielsweise kaum Pflanzen oder kleine Tiere. Wenngleich im Durchschnitt der Anteil der pflanzlichen Ernährung in Äquatornähe größer ist, gibt es dort eine größere Variation. Auch einige tropische Jäger und Sammler gehen vorwiegend der Jagd nach.
  • Gruppen, deren Ernährung zu einem Großteil aus Pflanzen besteht, konzentrieren sich auf bestimmte Kombinationen aus Samen, Nüssen und Knollen. Das Sammeln, die Verarbeitung oder das Kochen dieser Nahrungsmittel ist relativ zeitintensiv. Demgegenüber liefert das Fleisch von Großwild deutlich mehr Energie pro investierter Zeitspanne.
  • Die dritte Tendenz betrifft die Tätigkeiten der Frau in höheren Breitengraden wie der Arktis, wo kaum Optionen für das Sammeln von Nahrung existieren. Statt Nahrungsmittel beschaffen Frauen dort eher Wasser und Brennmaterial und sind in der Herstellung von Behausungen, Werkzeugen und Kleidung tätig.

Wie die Ethnologen Leacock und Etienne postulierten – allerdings nicht ohne auf Widerspruch etwa seitens Sherwood L. Washburn und C. S. Lancaster zu stoßen, die annehmen, dass männliche Dominanz zur genetischen Ausstattung aller Primaten gehört, waren Männer und Frauen in Jäger- und Sammlerkulturen gleichberechtigt (egalitär), sofern sie noch nicht unter dem Einfluss von Kolonialherren standen. Auch die voranschreitende Christianisierung führte oft zu einem veränderten Verhältnis der Geschlechter zueinander.

Eine deutlich spezialisierte Arbeitsteilung lässt sich historisch erst ab 40.000 v. Chr. zu Beginn des Jungpaläolithikums nachweisen. Die umfangreichen archäologischen Funde aus dem Zeitraum des Mittelpaläolithikums (300.000 bis 40.000 v. Chr.) zeigen, dass Männer und Frauen vorher relativ ähnliche Aufgaben übernahmen. Im Mittelpaläolithikum entstanden stärkere Unterschiede zuerst in der östlichen Mittelmeerregion und später im restlichen Eurasien und Afrika. Die Verhaltensänderungen im Jungpaläolithikum bedeuteten eine Spezialisierung und Ausdehnung der wirtschaftlichen und technologischen Rollen bei Jägern und Sammlern. Diese verschaffte dem „modernen Menschen“ (Homo sapiens) vielleicht einen Vorteil gegenüber anderen Gattungen der Hominini (Linie des Menschen). Im Vergleich zu diesen Wildbeutern kannten beispielsweise die Neandertaler offenbar keine Arbeitsteilung. Auch Funde in Peru von 7.000 v. Chr. widersprechen der noch weit verbreiteten Annahme starrer Geschlechterrollen in frühen Jäger-Sammler-Gesellschaften.