Vernunft

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Vernunft bezeichnet in der modernen Verwendung ein durch Denken bestimmtes geistiges menschliches Vermögen zur Erkenntnis. In Anlehnung an die terminologische Verwendung bei Christian Wolff wird sie vom Verstand abgegrenzt, der durch Beobachtung und Erfahrung Sachverhalte erfasst und so der Vernunft die Fähigkeit verleiht, allgemein gültige Zusammenhänge durch Schlussfolgerungen zu erschließen, ihre Bedeutung zu erkennen und Regeln sowie Prinzipien aufzustellen. Sofern diese das Handeln, Wertbestimmungen oder Fragen der Moral betreffen, spricht man von praktischer Vernunft. Unter diesem Begriff tritt zum Vermögen der Prinzipien auch die Fähigkeit, den eigenen Willen zu bestimmen, hinzu. Den auf Erkenntnis und Wissenschaften bezogenen Gebrauch bezeichnet man als theoretische Vernunft. Rationalität ist wiederum ein Begriff der „Vernünftigkeit“, der an der Steigerung der Effizienz, sowohl im Sinne von Wirtschaftlichkeit nach ökonomischen Prinzipien, als auch im Sinne der Gerechtigkeitstheorie oder der Diskursethik, orientiert sein kann.

Der Inhalt des Begriffs der Vernunft wird unterschiedlich bestimmt. In seinem Verhältnis mit dem Begriff des Verstandes hat er im Verlauf der Geschichte von der griechischen Philosophie – Nous und Logos gegenüber dianoia – über das Mittelalter – intellectus versus ratio – bis in die Neuzeit einen Wandel erfahren. In der Neuzeit entwickelte sich, angestoßen von Meister Eckart und Martin Luther, ein Begriffsinhalt, wie er von Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft formuliert wurde und so in der Moderne noch weitgehend üblich ist. Danach ist die Vernunft das oberste Erkenntnisvermögen. Dieses kontrolliert den Verstand, mit dem die Wahrnehmung strukturiert wird, erkennt dessen Beschränkungen und kann ihm Grenzen setzen. Damit ist die Vernunft das wesentliche Mittel der geistigen Reflexion und das wichtigste Werkzeug der Philosophie. Dieses Verständnis wurde aber auch kritisiert, so etwa von Arthur Schopenhauer, wo die Vernunft das Organ leerer Spekulation sein kann, was er als Anschluss an Kants Kritik verstanden wissen will, welche in der transzendentalen Dialektik jenes Thema behandelt.

Neben dieser Vernunft als subjektives Vermögen eines Menschen oder „endlichen Vernunftwesens“ (animal rationale) – nahmen einige Philosophen die Existenz einer objektiven Vernunft an: ein die Welt durchwaltendes und ordnendes Prinzip als metaphysische oder kosmologische Vernunft – Weltvernunft, Weltgeist, Logos, Gott. Zu diesen Philosophen gehören z. B. Heraklit, Plotin und Hegel. Die Debatten um die Existenz oder Nichtexistenz einer solchen Weltvernunft und ihre eventuelle Beschaffenheit sind ein bedeutender Teil der Philosophiegeschichte. Kant verwendet dafür in seiner Kritik der praktischen Vernunft den Begriff der göttlichen Vernunft (intellectus archetypus) der im Gegensatz steht zur menschlichen Vernunft (intellectus ectypus).

In Abgrenzung zum Begriff der Vernunft wird der Begriff des Verstandes heute gebraucht für Fälle, in denen Phänomene gesondert betrachtet werden, abgelöst vom größeren umfassenden Zusammenhang. In der Umgangssprache werden die beiden Begriffe allerdings nicht streng voneinander unterschieden.

Bedeutung[Bearbeiten]

Sowohl umgangssprachlich als auch in der Geschichte der Philosophie hat die Bezeichnung „Vernunft“ mehrere Bedeutungen, die sich aber überschneiden.

Zum einen wird sie als die Grundlage für Erkenntnis und Erkenntnisgewinn betrachtet. Sie schafft die Voraussetzung für Erkenntnis, indem sie eine Systematik und einen Bezugsrahmen für Wissen vorgibt. Von der Vernunft unterschieden wird gewöhnlich der Verstand als Erkenntnisvermögen oder als das Zusammenwirken vieler verschiedener kognitiver Fähigkeiten.

Zum anderen wird Vernunft in der Bedeutung von vernünftigem Handeln verwendet. In diesem Sinn begründet Vernunft eine normative, philosophische Ethik, die keine Berufung auf andere Instanzen eingesteht. Sie findet sich zum Beispiel bei Aristoteles als das rechte Maß oder bei Immanuel Kant als der kategorische Imperativ. In seiner Universalgeschichte beschreibt Voltaire eine stetige Entwicklung der Menschheit von primitiver Barbarei zur Vorherrschaft der Vernunft.

Schließlich wird Vernunft in der Bedeutung von „einer höheren Ordnung gemäß“ verwendet. Diese Sichtweise trägt meistens die Züge einer religiösen Überzeugung, und auch im deutschen Idealismus ist die Vernunft das „Denken Gottes“. Der Mensch und die ganze Menschheit hat im Idealismus Anteil an dieser Vernunft, aber sie vollzieht sich eher an ihm, als dass er einen Einfluss darauf hat. Auch ohne einen traditionellen religiösen Bezug sind heute viele Menschen überzeugt, in der Welt einer höheren Vernunft der Schöpfung zu begegnen (vgl. Intelligent Design). Physiker wie Erwin Schrödinger waren von der Existenz einer übernatürlichen, vernünftigen Ordnung überzeugt.