Mystik

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Der Ausdruck Mystik (von gr. mystikós ‚geheimnisvoll‘, zu myein ‚Mund oder Augen schließen‘) bezeichnet Berichte und Aussagen über die Erfahrung einer göttlichen oder absoluten Wirklichkeit sowie die Bemühungen um eine solche Erfahrung.

Das Thema Mystik ist Forschungsgegenstand innerhalb der Theologien der Offenbarungsreligionen und der Religionswissenschaften, in Kultur-, Geschichts- und Literaturwissenschaft, Philosophie und Psychologie. Allerdings besteht kein übergreifender fachwissenschaftlicher Konsens zur Begriffsbestimmung.

Im alltäglichen Sprachgebrauch sowie in populärer Literatur versteht man unter Mystik meist spirituelle Erlebnisse und Aussagen, die als solche wissenschaftlich nicht objektivierbar sind („echte“ mystische Erfahrung). Die Literatur, in der der Ausdruck Mystik auch in unterschiedlichem Sinne verwendet wird, ist vielfältig. Trotz aller definitorischen Unklarheiten lassen sich charakteristische Merkmale bestimmen.

Begriffsbestimmung[Bearbeiten]

Religionsgeschichtlich versteht man unter Mystik ein religiöses Erleben, das auf „ein Wirklichkeitsganzes“ oder auf eine Gotteswirklichkeit hin ausgerichtet ist. Mystische Erfahrungen werden unter Verwendung kontextspezifischer Begriffe, Bilder und Formulierungen ausgedrückt.

In monotheistischen Religionen wie Christentum, Judentum und Islam ist mystische Erfahrung als Gotteserfahrung bzw. Glaubens­erfahrung auf die göttliche Wirklichkeit bezogen. Sie findet in unterschiedlichen Begriffen und Wendungen Ausdruck, die oftmals auch in Grundschriften dieser Religionen Verwendung finden: Licht, Geistestaufe, Feuer (Brennender Dornbusch), Pfingstwunder, Liebe (Briefe des Johannes), göttliches Du, Gott als innerstes Innen (bei Augustinus), Dhikr.

Nichttheistische Traditionen wie Buddhismus, Jainismus und Daoismus bringen mystische Erfahrungen zum Ausdruck, ohne sich auf eine göttliche Person oder Wesenheit zu beziehen. Auch Vertreter des Hinduismus berichten von mystischen Erlebnissen, unter anderem Ramakrishna.

Mystische Erfahrung wird in der christlichen Mystik auch als Mysterium oder unio mystica bezeichnet, im buddhistischen Kulturraum wird sie etwa als Satori oder Kenshō benannt, im hinduistischen Raum als Nirvikalpa Samadhi.

Je nach Tradition und Definition werden mystische Erfahrungen von ihrer jeweiligen Auswirkung (z.B. in Form von Prophetie oder göttlichen Eingebungen) abgegrenzt.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Der deutsche Ausdruck Mystik, der in seiner substantivischen Form erst im 17. Jahrhundert entsteht, geht zurück auf das altgriechische μυστικός (mystikós), „geheimnisvoll“, das sich auf das griechische Substantiv μυστήριον (mysterion), lateinisch mysterium („Geheimnis“, aber auch „Geheimlehre“ oder „-kult“) bezieht. In diesem Zusammenhang steht auch das griechische Verb μυέειν (myéein), was „einweihen“, „beginnen“ oder „initiiert werden“ bedeutet. Das Stammwort ist aber im Griechischen μύειν (myein) zu sehen, „sich schließen“, „zusammengehen“ heißt, wie die Lippen und Augen der Teilnehmer an den Mysterien von Eleusis.

Der Ausdruck Mysterium wurde anfangs nur auf die Geheimlehre und den Geheimkult selbst bezogen und später auch generell im Sinne von etwas Dunklem und Geheimnisvollem verwendet (siehe etwa auch das Wort „mysteriös“). Im Alten Testament bezeichnet mystes abwertend die Kultpraxis der Kanaaniter und mystikós einen geheimnisvollen, nämlich mysteriösen Ort. Im Neuen Testament, wo diese Begriffe nicht vorkommen, bezieht sich der Ausdruck Mysterium hingegen auf den in den Gleichnissen formulierten verborgenen göttlichen Heilsplan, den Gott in Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu Christi erfüllt und offenbart hat (1 Kor 2,7; Eph 1,9-11; 3,4-9; 5,32f; Kol 1,26f). Weil dieses Mysterium schon im „inneren“ oder „mystischen“ Sinn des Alten Testaments vorausgebildet sei, kommt es zur Ausbildung einer mystischen Schriftauslegung, so schon in den Evangelien (vgl. bes. Lk 24,31f.44-47) und bei Paulus (vgl. 1 Kor 10,4; 2 Kor 3,6-18), dann vor allem bei Origenes, Ambrosius und Augustinus. Das lateinische Sacramentum nimmt den griechischen Begriff Mysterion wieder auf, woraus sich dann die drei christlichen Initiationssakramente herausbilden: Taufe, Firmung (Myronsalbung) und Eucharistie. Die klassische Zeit der Taufe ist die Osternacht, ihr Ort die Oster-Feier.

Auch mystisch-esoterische Geheimlehren konnten nicht auf eigene Initiative erfahren werden, sondern bedurften immer der rituellen Einweihung durch einen Führer oder esoterischen Lehrer. Dieser hieß Mystagoge (von griechisch agogein, „führen“, „leiten“). In der Spätantike findet der Ausdruck auch im philosophischen Kontext Verwendung, wenn der verborgene Sinn einer Äußerung angesprochen ist, und wird insbesondere von Proklos auf den Bereich des Göttlichen bezogen.

Im Mittelalter lebt die persönliche mystische Gotteserfahrung vor allem in den Klöstern. Höchstes Ziel des monastisch-mystischen Strebens bleibt diese Gotteserfahrung in der unio mystica, der mystischen Vereinigung mit Gott, im weiteren Sinn die Suche nach einem „Bewusstsein der unmittelbaren Gegenwart Gottes“ (Bernard McGinn). Die mystisch-geistliche Schriftauslegung bleibt dabei Grundlage bei der Suche nach unmittelbarer Gottesnähe, so insbesondere die Auslegung des Hohenliedes (etwa durch Bernhard von Clairvaux).

In der Zeit der Reformation wird in der protestantischen Theologie der vierfache Schriftsinn weitgehend auf den Literalsinn eingeschränkt. Im katholischen Raum kann sich die spanische Mystik (Ignatius von Loyola, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz) entwickeln. Im 17. Jahrhundert bildet sich die substantivische Verwendung des Begriffs heraus im Sinne einer spezifischen Variante religiöser Praxis und einer spezifischen Sorte religiöser Literatur: Es wird nicht mehr von „mystischer Theologie“ als einem konstitutiven Bestandteil religiösen Denkens gesprochen, sondern von „Mystik“ als einem Typus außergewöhnlicher Verfahren, so der Mystikforscher Michel de Certeau. Ähnlich wie hin und wieder Mystik selbst bezeichnen davon abgeleitete Ausdrücke wie Mystizismus und mystisch in der heutigen Umgangssprache bei abwertender Einstellung auch als „unverständlich“ oder „rätselhaft“ empfundene Darstellungen.

Quellen[Bearbeiten]

  • Karl Albert: Einführung in die philosophische Mystik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996, ISBN 3-534-12948-2.