Hinduismus

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Der Hinduismus, auch Sanatana Dharma genannt, ist mit rund 1 Mrd. Anhängern und einem Anteil von etwa 15% der Weltbevölkerung nach dem Christentum (rund 31%) und dem Islam (rund 23%) die drittgrößte Religionsgruppe der Erde bzw. eher ein vielgestaltiger Religionskomplex. Seinen Ursprung hat er in Indien. Anhänger des im Ausland häufig verkürzend als polytheistisch wahrgenommenen und in wissenschaftlichen Kreisen als henotheistisch kategorisierten Hinduismus werden Hindus genannt, wobei dieser Oberbegriff in seiner Zusammenfassung mehr eine europäisch-kolonialistische Perspektive wiedergibt, als der historischen Entwicklung bzw. den Entwicklungslinien der differenten Religionen Indiens gerecht zu werden. Im Gegensatz zu anderen Religionen gibt es im Hinduismus keinen Religionsstifter, vielmehr entwickelten sich die religiösen Systeme Indiens über einen Zeitraum von ca. 3.500 Jahren.

Der Hinduismus vereint in sich mithin grundsätzlich verschiedene Religionen, die sich teilweise mit gemeinsamen Traditionen überlagern und gegenseitig beeinflussen, in heiligen Schriften, Glaubenslehren, der Götterwelt und Ritualen aber Unterschiede aufweisen. Axel Michaels vertritt dabei die These, dass diese verschiedenen Religionen und Gemeinschaften zumeist 5 Kriterien erfüllen: ein räumlicher Bezug zu Südasien, ähnliche Sozial- und Heiratsvorschriften (Kasten), dominierende vedisch-brahmanische Werte, die Verehrung bestimmter Gottheiten und ein zueinander identifikatorischer Habitus.

Spirituelle Strömungen[Bearbeiten]

Die wichtigsten spirituellen Strömungen innerhalb der hinduistischen Religion sind:

  • Brahma, der Erschaffer der Welt, er manifestiert sich als Dreiheit (Trimurti). Jede weitere Gottheit ist ein Aspekt des Einen.
  • Vishnuismus, der Erhalter und Bewahrer der Welt
  • Shivaismus, der Vollender und Zerstörer der Welt.
  • Shaktismus, die Quelle des Lebens, die wohlwollende Mutter, sie kann aber auch eine schreckliche böswillige Kraft sein.

Die meisten Hindus sehen entweder in Vishnu oder in Shiva den einzigen, allumfassenden und damit verehrungswürdigen Gott (Monolatrie). Die Strömung, die Brahma als den Einen Gott verehrte, ist im rezenten Hinduismus nur noch selten anzutreffen.

Eine weitere Strömung ist der Shaktismus. Hier wird insbesondere Shakti, die kosmische Energie, auch als göttliche Mutter vorgestellt. Sie manifestiert sich und wird verehrt in ihren Gestalten als Durga, Kali, Lakshmi, Sarasvati.

Verbreitung[Bearbeiten]

Weltweit gibt es nach einer Schätzung von 2010 etwa eine Milliarde Hindus, wovon rund 92% in Indien leben, wo sie mit etwa 80% der Bevölkerung die größte Religionsgruppe bilden. Das gilt auch für Nepal (81%), die indonesische Provinz Bali (90%, Indonesien gesamt 1,8%) und Mauritius (49%). Länder mit einem vergleichsweise signifikanten Anteil an Hindus sind außerdem Fidschi (30%), Guyana (30%), Bhutan (25%), Suriname (22%), Trinidad und Tobago (18%), Sri Lanka (13%), Bangladesch (9%) und Malaysia (7%). Die rund drei Millionen Hindus in Sri Lanka sind fast ausschließlich Tamilen. In Pakistan kam es nach der Teilung Indiens 1947 zu einem Bevölkerungsaustausch, bei dem fast alle Hindus nach Indien flohen. Der Anteil in Pakistan beträgt noch 1,5%.

Auf dem indischen Subkontinent setzte sich der Hinduismus im 1. Jahrtausend n. Chr. gegenüber dem Buddhismus durch und wurde im 12. Jahrhundert zur vorherrschenden Religion Indiens. In Nepal wurde der Hinduismus seit dem 14. Jahrhundert gefördert und war bis zum Ende der Monarchie 2008 die Religion der Königsfamilie.

Außerhalb des indischen Subkontinents verbreitete sich der Hinduismus in mehreren Schüben. Vom 1. bis zum 6. Jahrhundert entfaltete er sich entlang der Handelsstraßen in Südostasien, besonders in Burma, Kambodscha, in Indonesien und auf der malaiischen Halbinsel. In der Zeit der britischen Herrschaft in Indien gelangten zahlreiche Inder als Arbeitskräfte oder Händler in andere Teile des britischen Kolonialreiches. Die hinduistische Gemeinde in Großbritannien geht vor allem auf die indische Einwanderung nach 1945 zurück.

In den letzten Jahrzehnten gab es eine verstärkte Einwanderung indischer Gastarbeiter in die arabischen Staaten am Persischen Golf und in die USA. In Katar, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten beträgt der hinduistische Bevölkerungsanteil inzwischen über 10%. Viele indische Händler, die 1972 aus Uganda vertrieben wurden, ließen sich in Kanada und Großbritannien nieder. Seit 1873 kamen sogenannte Hindustanen als Kontraktarbeiter nach Suriname. Nachdem Suriname 1975 die Unabhängigkeit erlangt hatte, zogen zahlreiche surinamische Hindus aus Furcht vor politischer Diskriminierung in die Niederlande.


Auch die Mehrheit der über 60.000 Hindus in Deutschland sind Flüchtlinge, vor allem Tamilen, die dem Bürgerkrieg in Sri Lanka entkommen konnten. Ihr kulturelles und religiöses Zentrum ist der Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in der nordrhein-westfälischen Stadt Hamm, der 2002 eingerichtet wurde. Er ist nach dem im nordindischen Nagara-Stil errichteten Neasden-Tempel in London der zweitgrößte hinduistische Tempel in Europa.

Zum Begriff[Bearbeiten]

Der Hinduismus ist keine einheitliche Religion. Indologen und Religionswissenschaftler verwenden häufig den Begriff Hindu-Traditionen oder Hindu-Religionen. Der Begriff „Hinduismus“ umfasst einen Komplex religiöser Traditionen und gesellschaftlicher Phänomene, die teilweise sehr unterschiedliche sozioökonomische, historische und geographische Bedingungen haben.

Das Wort „Hindu“ stammt aus dem Persischen und bezeichnet im Singular den Fluss Indus (der im Sanskrit wiederum Sindhu heißt). Als geographische Bezeichnung kommt dieses Wort somit schon in den altpersischen Inschriften der Achämeniden vor. Als die Griechen unter Alexander dem Großen 326 v. Chr. in den indischen Subkontinent vordrangen, bezeichneten sie den Fluss als „Indos“ und die Bewohner des Landes als „Indoi“, wovon sich das Wort Inder ableitet.

Mit dem Vordringen der Muslime in den Sindh ab 711/712 n. Chr. wurde die einheimische Bevölkerung Hindus und das Land als „Al Hind“ genannt. Dies hatte auch steuertechnische Gründe, da Nicht-Muslime eine zusätzliche Steuer zu zahlen hatten, die Kopfsteuer. Somit gab es im westlichen Teil Indiens ab dem 8. Jahrhundert zwei Steuerkategorien: Muslime und Hindus. Diese aus der Steuerverwaltung entsprungene Bezeichnung wurde von allen nachfolgenden Herrscherdynastien weitergeführt, zuletzt von den Engländern, die die Strukturen der Mogulverwaltung übernahmen. Die Hindu-Identität konstruiert sich damit besonders durch ihr Verhältnis zu den herrschenden Muslimen als Nicht-Muslime.

In der englischen Kolonialzeit entstand die künstliche Unterscheidung zwischen „Inder“ im säkularen und „Hindu“ im religiösen Sinn, im Unterschied zu Muslimen und Christen. Davon abgeleitet entstand „Hinduismus“ als Sammelbegriff für indische Religionen. Man bemerkte anfangs nicht, dass es sich um mehrere Religionen mit sehr verschiedenen Vorstellungen handelte, da die Anhänger dieser Religion absolut selbstverständlich und friedlich miteinander lebten. Der früheste Beleg für die Verwendung des Begriffs „Hindoo“ stammt aus dem Jahre 1808, der britische Colonel »Hindoo« Stewart verwendete ihn in seinem Pamphlet „Vindication of the Hindoos, by an bengal Officer“. Moderne Hindus ziehen den Ausdruck „Sanatana Dharma“ zur Beschreibung ihrer Religion vor.

Innerhalb des Hinduismus gibt es monotheistische, dualistische und polytheistische Richtungen, Gottheiten erscheinen als persönliche oder unpersönliche Wesen. Die Hindu-Religionen verfügen weder über ein gemeinsames Glaubensbekenntnis noch über eine zentrale Institution, die Autorität für alle Hindus hätte. Nur einzelne Richtungen gehen auf einen bestimmten Gründer zurück. Die Ausprägung der indischen Philosophie und sogar die Gottesvorstellungen sind in den einzelnen Strömungen sehr verschieden, auch die Ansichten über Leben, Tod und Erlösung (Moksha) stimmen nicht überein. Der Priesterstand kann sowohl dem Brahmanentum als auch niedrigeren Kasten angehören, teilweise besteht er auch aus Unberührbaren. Für den persönlichen Glauben haben religiöse Lehrer (Gurus) oft einen großen Stellenwert. Trotz aller Unterschiede können Hindus der verschiedenen Richtungen weitgehend gemeinsam feiern und beten. „Einheit in der Vielfalt“ ist eine oft verwendete Redewendung im Hinduismus.

Als Gegenbewegung zum säkularen Staatsmodell, das von Mahatma Gandhi als Lösung für die religiösen Konflikte, hauptsächlich zwischen Muslimen und Hindus, gesehen wurde, zeigte die Entwicklung des hinduistischen Nationalismus Ansätze einer Ideologisierung des Begriffs, besonders zur Abgrenzung zu den Muslimen. Die ideologischen Wurzeln dieses „politisierten Hinduismus“ liegen in der neo-hinduistischen Bewegung des indischen Unabhängigkeitskampfes. Dieser wurde mit dem Begriff Hindutva verbunden, der indischen Aneignung des Begriffs „Hinduismus“. Zu den führenden Ideologen zählt Vinayak Damodar Savarkar, ein radikaler Befreiungskämpfer, der 1910 von den Briten gefangen genommen wurde. Ziel der Hindutva-Bewegung ist die (Wieder-)Erschaffung einer einzigen Hindu-Nation. Savarkar bediente sich dabei des Rückgriffs auf eine „konstruierte“ gemeinsame Vergangenheit aller Hindus.

Artikel 25 der indischen Verfassung, welcher der Religionsfreiheit und den diese einschränkenden Rechten des Staates gewidmet ist, enthält in einer Zusatzbestimmung zu Absatz 2b die Präzisierung, dass der Hinduismus auch Jainismus, Buddhismus und Sikhismus umfasst. Damit folgt die Verfassung durchaus Savarkars Forderung, unter Hindutva alle Religionen und Weltanschauungen zusammenzufassen, die auf indischem Boden entstanden sind und Indien als ihr Heiliges Land betrachten. Ursprünglich ging es vor allem darum, im Kampf um die Unabhängigkeit und die künftige Machtverteilung eine möglichst große Mehrheit von „Hindus“ gegenüber den Muslimen zu erreichen. Gegen diese „Vereinnahmung“ als „Hindus“ haben sich bisher nur die Sikhs vor dem Verfassungsgericht mit Erfolg gewehrt.

Selbst auf der zweiten von der Vishva Hindu Parishad organisierten Welt-Hindu-Konferenz von 1979 konnten sich die Vertreter verschiedener hinduistischer Gruppierungen, Kasten oder religiösen Richtungen nicht auf eine gemeinsame Definition einigen. Immerhin entwickelte man einen Sechs-Punkte-Kodex für alle Hindus: Wer Gebete (suryapranama und prarthana) spricht, die Bhagavad Gita liest, eine persönliche Wunschgottheit (Murti, wörtlich „Götterstatue, Bild“) verehrt, die heilige Silbe Om verwendet und das heilige Kraut Tulsi („Indisches Basilikum“) anbaut, der darf sich „Hindu“ nennen. Doch diese Definition bleibt oberflächlich und wegen des Tulsi-Strauches zudem vishnuitisch gefärbt.

Michaels (1998) sieht im Hinduismus eine Art von Sammelbegriff für Religionen, religiöse Gemeinschaften, sozio-religiöse Systeme, der fünf der folgenden Kriterien erfüllt:

  • sind im südasiatischen Raum entstanden und verbreitet;
  • die soziale Organisation ist durch Abstammungs- und Heiratsvorschriften gekennzeichnet (Kastensystem)
  • (ursprünglich) dominieren vedisch-brahmanische Werte, Rituale und Mythen;
  • die Erscheinungsformen von Shiva, Vishnu, Devi, Rama, Krishna oder Ganesha werden als göttliche Kraft oder Gott verehrt; oder zumindest nicht abgelehnt
  • ein identifikatorischer Habitus, der in einer aus dem altindischen Opferwesen kommenden Heilsbezogenheit der Deszendenz steht, sich aber weitgehend hiervon abgelöst hat.

Geschichte des Hinduismus[Bearbeiten]

Vorvedische Religionen (bis ca. 1750 v. Chr.)[Bearbeiten]

Über das religiöse Leben in den frühsteinzeitlichen Siedlungen ist fast nichts bekannt. Vermutlich wurden verschiedenste Geistwesen, Muttergottheiten und Bäume verehrt. Die Religionen waren gekennzeichnet durch Ahnenkult und Animismus.

Die bronzezeitliche Indus-Kultur (ca. 2500–1500 v. Chr.) entwickelte sich entlang des Indus im Nordwesten des indischen Subkontinents. Dort gab es Stadtanlagen mit bis zu 40.000 Einwohnern, Bewässerungssystemen und rechtwinkligen Straßen. Häuser und Burgen wurden aus gebrannten, gleichmäßig geformten Ziegeln gebaut.

Als erster versuchte John Marshall, der Ausgräber von Mohenjo-Daro und Harappa, die Indusreligion zu erklären und kam dabei zum Schluss, dass viele Erscheinungen des späteren Hinduismus in der Indusreligion bereits vorhanden waren. Dabei nannte er drei wichtige Aspekte:

  • Verehrung der „Großen Muttergöttin“ (Great Mother Goddess), als Vorläuferin des Proto-Shaktismus. Die Göttin könne eine Protoform der hinduistischen Durga oder Shakti gewesen sein.
  • Verehrung eines „Großen Männlichen Gottes“ (Great Male God), als Vorläufer des Proto-Yoga. Dieser vermutete Gott wurde schon 1928 von Mackay als Proto-Shiva bezeichnet, der sich „Herr der Tiere“, dem späteren Pashupati, annäherte. (Siehe Mohenjo-Daro Siegel 420)
  • Das „Große Bad“ (Great Bath) in Mohenjo-Daro habe rituellen Waschungen gedient, die noch immer im Hinduismus eine außergewöhnlich wichtige Rolle einnehmen.

Die Deutung der Abbildung des „Großen Männlichen Gottes“ ist jedoch ungesichert. Auch die Bestimmung der Darstellungen von (eventuell schwangeren) Frauen oder weiblichen Tonfiguren als Muttergottheiten bleibt spekulativ: „Aber man darf vermuten, daß Animismus, Dämonenkult, Fruchtbarkeitskulte, die Verehrung von Naturgewalten und Muttergottheiten die Religiosität bestimmte, wenngleich diese Anteile von späteren Stufen der Hindu-Religionen überlagert wurden und nur schwer herauszufiltern sind.“

Einige Forscher gehen davon aus, dass die Religion der Indus-Kultur ähnlich den Religionen der Sumerer, Ägypter und anderer antiker Völker polytheistisch war. Jedoch sei ein Alleinstellungsmerkmal das Fehlen monumentaler Bauwerke, vergleichbar den ägyptischen Pyramiden oder sumerischen Zikkuraten. Sie nehmen an, dass solche Bauwerke existierten, aber im Laufe der Zeit umgewandelt oder abgetragen wurden.