Tyrannis

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Als Tyrannis (altgriechisch tyrannís „Herrschaft eines Tyrannen, unumschränkte, willkürliche Herrschaft, Gewaltherrschaft“) bezeichnet man eine Herrschaftsform der griechischen Antike, die im 7. Jahrhundert v. Chr. aufkam und bis in die Zeit des Hellenismus in griechisch besiedelten Regionen des Mittelmeerraums verbreitet war.

Ihr Merkmal ist die weitgehend unumschränkte Alleinherrschaft (Monokratie) eines Machthabers, des „Tyrannen“ (griechisch týrannos, lat. tyrannus), über einen Stadtstaat (Polis), teils außerdem auch über ein größeres Territorium. Da eine Monokratie in den meisten Polisverfassungen nicht vorgesehen war, war die Grundlage einer Tyrannis der faktische, meist auf Gewalt beruhende Machtbesitz, den in manchen Fällen die Volksversammlung gebilligt hatte. Zu beachten ist, dass natürlich jeder Tyrann Unterstützer hatte, auch wenn diese in den Quellen oft nicht erwähnt werden. Viele durch einen Staatsstreich bzw. im Zuge einer Stasis an die Macht gekommene Gewaltherrscher wollten eine Dynastie gründen, doch scheiterte die Vererbung der Führungsstellung oft schon in der Generation ihrer Söhne.

Traditionell unterscheidet man in der Altertumswissenschaft die „ältere Tyrannis“ der Zeit vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zum Jahr 461 v. Chr. und die „jüngere Tyrannis“, die im ausgehenden 5. Jahrhundert außerhalb des griechischen Kernlandes entstand und noch im Zeitalter des Hellenismus praktiziert wurde. In der Epoche der älteren oder „archaischen“ Tyrannis war die Bezeichnung „Tyrann“ für einen Alleinherrscher noch nicht unbedingt wertend. Allerdings dominierte in Athen nach der Beseitigung der dortigen Tyrannis 510 v. Chr. eine scharf ablehnende Haltung, und in der Folgezeit erhielten die einschlägigen Begriffe stark negative Konnotationen. Dazu trugen insbesondere die staatstheoretischen Konzepte bei, die im 4. Jahrhundert v. Chr. von den Philosophen Platon und Aristoteles entwickelt wurden. In der Epoche der griechischen Klassik und im Hellenismus wurde tyrannische Machtausübung in weiten Kreisen verabscheut. „Tyrannis“ wurde ein Kampfbegriff, mit dem man die Herrschaft eines Machthabers als illegitim und unterdrückerisch anprangerte, während sich niemand selbst als Tyrann bezeichnete oder verstand. Erfolgreicher Widerstand gegen einen (tatsächlichen oder angeblichen) Gewaltherrscher im Namen einer aristokratisch oder demokratisch aufgefassten „Freiheit“ brachte Ruhm. Man verherrlichte den Tyrannensturz oder Tyrannenmord als Großtat, die straffrei blieb.

Bei den Römern dominierte seit der gewaltsamen Beseitigung des römischen Königtums eine sehr negative Bewertung der Monarchie. Als der Einfluss der griechischen Kultur zunahm, verband sich in gebildeten Kreisen die traditionelle antimonarchische Gesinnung der römischen Republikaner mit der griechischen Tyranniskritik. Seit der Spätantike war tyrannus dann ein Synonym zu Usurpator. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wirkte sich die Tyrannenfeindschaft bedeutender antiker Autoritäten stark aus und beeinflusste die Debatten über gerechte und ungerechte Herrscher und über den Tyrannenmord.

Die moderne Forschung betont gegenüber den vereinheitlichenden antiken Theorien die Vielfalt der Ausprägungen „tyrannischer“ Herrschaft in der griechischen Staatenwelt. Sie untersucht die Zusammenhänge zwischen der politischen Machtkonzentration und den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Intensiv diskutiert wird vor allem die verfassungsgeschichtliche Relevanz der älteren Tyrannis und der zahlreichen heftigen Machtkämpfe um die Alleinherrschaft in der archaischen Zeit. Einer Forschungsrichtung zufolge handelt es sich nur um verfassungshistorisch relativ unwesentliche persönliche Auseinandersetzungen innerhalb einer dünnen aristokratischen Führungsschicht. Nach einer anderen Interpretation schwächten die Tyrannen die Macht der Adelssippen und wurden damit unwillentlich zu Wegbereitern eines sozial aufsteigenden Bürgertums. Umstritten ist die Annahme, dass die Tyrannis eine notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung der staatlichen Institutionen bildete, insbesondere für die spätere Entfaltung der attischen Demokratie.