Abendland

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Der Begriff Abendland ergab sich aus der antiken und mittelalterlichen Vorstellung von Europa als dem westlichsten, der untergehenden Abendsonne am nächsten gelegenen Erdteil. Das ihm entsprechende Antonym ist daher das griechisch-orthodox und islamisch geprägte Morgenland oder der Orient. Die griechisch-orthodoxe Kirche wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch als die morgenländische bezeichnet.

In Zeiten des Kalten Krieges wurde der Begriff teils übereinstimmend mit dem Begriff der westlichen Welt verwendet, d.h. vor allem die alten Mitgliedsländer der Europäischen Union und Nordamerika. Seit der Romantik entwickelte sich vor allem im deutschsprachigen Raum eine besondere Traditionslinie um den Abendlandbegriff, die einen letzten Höhepunkt in einer regelrechten Abendland-Ideologie der 1950er Jahre fand. Seit dem Mauerfall im Jahre 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion bezieht sich der Abendlandbegriff nicht mehr nur auf den lateinischen Westteil Europas, sondern auch auf den christlich-orthodoxen Teil Ost- und Südosteuropas bis zum Bosporus. Istanbul, der Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2010, wird wieder eine kulturelle und wirtschaftliche Brückenfunktion zwischen Abendland und Morgenland bzw. Okzident und Orient zugeschrieben. Mit der Begriffserweiterung auf praktisch ganz Europa wird der Begriff des Abendlands in erster Linie geographisch verwendet.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Im Römischen Reich stand der lateinische Begriff occidens (zu ergänzen: sol, „die untergehende Sonne“) für die westliche Himmelsrichtung. Der Begriff „Abendländer“ für „Okzident“ findet sich erstmals 1529 bei Kaspar Hedio. Martin Luther prägte in seiner Bibelübersetzung dafür den Ausdruck Abend.

Die Abkömmlinge der lateinischen Etyma occidens und oriens werden in unterschiedlichem Maße in den romanischen Einzelsprachen verwendet, wo sie als Richtungsangaben neben germanischen Lehnwörtern stehen, welche durch das Französische vermittelt wurden.

Das Wort „sich orientieren“ bzw. „Orientierung“ sind Lehnwörter aus dem Französischen und enthalten den Begriff „Orient“ und bedeuten in erster Linie „sich ausrichten“, „sich zurechtfinden“, wörtlich „sich nach dem Orient ausrichten“. Mit „Orient“ ist der Osten bzw. die Richtung, wo die Sonne aufgeht, gemeint. Die Bezeichnung stammt aus der historischen Darstellung, bei der Karten oft mit Jerusalem oben ausgerichtet wurden. Jerusalem wurde dem Orient bzw. Osten gleichgesetzt. Eine Karte orientieren, hieß also, die Karte so zu drehen, dass der Osten oben war.

Romantik und Historismus[Bearbeiten]

In Deutschland entwickelten, von Novalis durch seine Schrift Die Christenheit oder Europa angeregt, die Brüder August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel eine Europakonzeption, die sich auf kulturelle Traditionen stützte. Das Abendland umfasste ihrer Vorstellung nach alle Länder, die durch ihr romanisches, germanisches und christliches Erbe zu einem einzigen europäischen Kulturraum in Antinomie zu einem islamischen Orient oder Morgenland vereint waren. Besondere Bedeutung maßen sie dabei Karl dem Großen als vermeintlichem Einiger Europas und Herrn über das christliche Abendland zu. Friedrich Schlegel verstand darüber hinaus unter Abendland die kulturelle Einheit der romanischen und germanischen Völker, worunter er vornehmlich Franzosen und Deutsche fasste. Aus der vermeintlichen kulturellen Ähnlichkeit zwischen Deutschen und Franzosen wollte Schlegel eine politische Assoziation erschaffen, vergleichbar dem Verhältnis zwischen Römern und Griechen in der Spätantike. Damit war für Friedrich Schlegel das Abendland, das er auch unter dem Europabegriff fasst, ein Mythos im romantischen Sinn: Europa ist ihm ein kritischer Begriff, anhand dessen er seine eigene Gegenwart mit ihren Nationalismen und dem Krieg gegen Napoleon theoretisch sowie poetisch zu fassen vermag.

Laut Leopold von Ranke habe die abendländische Kultur mithilfe des Humanismus die Spaltung des Corpus Christianum durch die Reformation überstanden und bilde bis in die Moderne die gemeinsame geistige Grundlage Europas. Genauer definiert er das Abendland anhand dreier Kulturerscheinungen: Der griechisch-römischen Antike, dem römischen, d. h. papstzentriertem Christentum und der Kultur der 'germanisch-romanischen' Völker.

Diese Position wurde von Gustav Droysen kritisiert, der darin die kulturhistorische Abwertung der Reformation sah.