Hochkultur (Geschichtswissenschaft)

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Als Hochkultur wird in der Geschichtswissenschaft sowie in älterer ethnologischer Fachliteratur eine Gesellschaftsordnung bezeichnet, die sich durch besondere Komplexität auszeichnet. Wie dieser Gesellschaftstyp abzugrenzen ist und welche historischen Kulturen dazu zählen, ist teilweise strittig. Als Hochkulturen gelten in erster Linie manche Gesellschaften des Alten Orients und des präkolumbischen Amerika, die Indus-Kultur und die chinesische Erlitou-Kultur.

Begriffsgeschichte und Merkmale[Bearbeiten]

Der Begriff Hochkultur wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt. Damals nahm man im Rahmen des Evolutionismus an, es gebe eine annähernd gesetzmäßige Abfolge kultureller Hervorbringungen, wobei die Entwicklung stets vom Einfachen zum Komplexen führe. In diesem Entwicklungsschema bezeichnete man das höchste Stadium der Komplexität einer Gesellschaft als „Hochkultur“. Im 20. Jahrhundert wurde die evolutionistische Sicht auf Kulturphänomene jedoch einer Fundamentalkritik unterworfen und erschien nur noch in abgewandelter Gestalt als Neoevolutionismus akzeptabel. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen die Vorstellung des historischen Voranschreitens zu höheren Zivilisationsformen. Damit wurde das Hochkultur-Konzept problematisch, und die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Randkulturen wurde in der Ethnologie aufgegeben. In der Geschichtswissenschaft spricht man zwar weiterhin von Hochkulturen, aber ohne den früheren kulturevolutionistischen Hintergrund und die damit verbundenen Bewertungen im Sinne „höherer“ und „niederer“ Entwicklungsstufen. Da der Ausdruck Hochkultur wegen seiner Geschichte als vorbelastet gilt, wird er oft durch Bezeichnungen wie komplexe Gesellschaft, städtische Gesellschaft, Zivilisation oder archaischer Staat ersetzt. Diese Bezeichnungen wurden im Deutschen aus der Terminologie der englischsprachigen Fachliteratur übernommen, in der civilization ungefähr dem entspricht, was im Deutschen gewöhnlich mit Hochkultur gemeint ist.

In der Geschichtswissenschaft dienen Hochkultur und die in neuerer Zeit zunehmend gebräuchlichen Entsprechungen dieses Ausdrucks zur Bezeichnung eines Gesellschaftstypus, der sich nach seinem Organisationsgrad und den erreichten zivilisatorischen Errungenschaften grundlegend von weniger komplexen Gesellschaften unterscheidet. Die Merkmale dieses Typus, die häufig, aber nicht immer zusammen auftreten, sind eine entwickelte Technik (Metalltechnik) und Landwirtschaft (Pflugbau, Überproduktion), Marktwesen und Geldwirtschaft, Schriftgebrauch, soziale Differenzierung und Arbeitsteilung, politische Zentralinstanzen mit institutionalisierter Herrschaft und Verwaltungsapparat, eine differenzierte Religion mit Priesterschaft sowie Städtewesen und Monumentalbauten. Allerdings besteht in der Forschung kein Konsens darüber, welche dieser Kriterien dafür notwendig und hinreichend sind, dass eine Kultur als Hochkultur eingestuft werden kann.

Die Religionswissenschaftlerin Ulrike Peters weist darauf hin, dass es keine allgemeingültig akzeptierte Definition des Begriffs „Hochkultur“ gibt. Dennoch finde nach Peters der Begriff nach wie vor in der Wissenschaft Verwendung und sei mit bestimmten Eigenschaften verbunden.

Übersicht[Bearbeiten]

Die frühesten Hochkulturen des Bereichs von Eurasien und Afrika entstanden im Nahen Osten. Dort entwickelten sich frühe Hochkulturen in Ägypten (ab 4000 v. Chr.), Sumer (etwa 4. Jahrtausend v. Chr. bis 2000 v. Chr.), Elam (etwa ab 3500 v. Chr. bis 600 v. Chr.) und Akkad (etwa 2340–2200 v. Chr.) sowie in den syrischen Städten Mari (etwa 2900 v. Chr. bis 1759 v. Chr.) und Ebla (etwa spätes 3. Jahrtausend v. Chr. und zwischen 1800 und 1650 v. Chr.). Auf dem indischen Subkontinent entstand um 2800 v. Chr. die Indus- oder Harappa-Kultur, die bis um 1800 v. Chr. blühte, in Zentralasien die Oasen- oder Oxus-Kultur (etwa 2200 v. Chr. bis 1700 v. Chr.), in China die Erlitou-Kultur (etwa 2000–1500 v. Chr., Schrift ab etwa 1250 v. Chr.).

In Mittel- und Südamerika entstanden mehrere Hochkulturen: die Chavín-Kultur (1200–200 v. Chr.), Caral in Peru (um 3000 bis etwa 2500 v. Chr.), Olmeken (etwa 1500 bis etwa 400 v. Chr.), die Maya-Zivilisation (um 3000 v. Chr. bis etwa 900 n. Chr.), Teotihuacán (um 100 bis ca. 650 n. Chr.), Tolteken (um 800 bis ca. 1200 n. Chr.), die Chimú-Kultur (900–1480 n. Chr.), das Inka-Reich (um 1200 bis ca. 1550) und das Aztekenreich (ca. 1350 bis ca. 1550).

Jüngere Hochkulturen waren im Nahen Osten Assyrien, Babylonien, das Perserreich und die Kulturen der Meder und der Hethiter, im Mittelmeerraum die Minoische Kultur, die Mykenische Kultur sowie die Kulturen der Phönizier/Karthager und der Etrusker, in Zentralasien die Kultur der Göktürken, in Südostasien das Khmer-Reich und in Afrika das Aksumitische Reich.