Totalitarismus

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Totalitarismus bezeichnet eine politische Herrschaft mit einem uneingeschränkten Verfügungsanspruch über die Beherrschten, auch über die öffentlich-gesellschaftliche Sphäre hinaus in den persönlichen Bereich. Ihr Ziel ist die umfassende Durchsetzung ihres Wertesystems. Im Unterschied zu einer autoritären Diktatur strebt der Totalitarismus an, in alle sozialen Verhältnisse hineinzuwirken, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen. Insbesondere werden der italienische Faschismus, der Nationalsozialismus und der stalinistische Kommunismus als Prototypen totalitärer Regime eingeordnet.

Die meisten Autoren beschreiben den Totalitarismus auf etwas andere Weise, jedoch waren sich alle einig, dass der Totalitarismus darauf abzielt, ganze Bevölkerungen zur Unterstützung einer offiziellen Parteiideologie zu mobilisieren, und dass er intolerant gegenüber Aktivitäten ist, die nicht auf die Ziele der Partei ausgerichtet sind, was Repressionen oder staatliche Kontrolle nach sich zieht. Gleichzeitig kritisierten viele Wissenschaftler mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund und ideologischen Positionen die Totalitarismustheorie.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Der Begriff wurde 1923 von dem italienischen Liberalen Giovanni Amendola, einem Gegner und Opfer des Faschismus, geprägt. Er bezeichnete das von Benito Mussolini, dem Diktator Italiens, geschaffene Herrschaftssystem des Faschismus als totalitäres System (sistema totalitario). Während die Antifaschisten damit zunächst vor einer absoluten und unkontrollierbaren Herrschaft warnen wollten, wurde der Begriff rasch von den Faschisten selbst übernommen und in ihrem Sinne positiv belegt. So beschrieb Benito Mussolini bereits 1925 in einer Rede im Mailänder Teatro alla Scala den Charakter des von ihm angestrebten totalen Staates wie folgt: Tutto nello Stato, niente al di fuori dello Stato, nulla contro lo Stato („Alles im Staate, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat“).

Der deutsche Schriftsteller und Publizist Ernst Jünger verherrlicht 1930 im Artikel Die totale Mobilmachung im Krieg und Krieger die Umrisse des Totalitarismus. Er feiert den Krieg und die moderne Technik als Vorboten einer neuen Ordnung. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurden die menschlichen und materiellen Kräfte der modernen Industriewelt in ihrer „Totalität“ mobilisiert, um die Kriegsanstrengungen zu bewältigen.

In Deutschland sprach der rechtskonservative Staatsrechtler Carl Schmitt 1931 in seiner Schrift Der Hüter der Verfassung von einem „totalen Staat“, der die Vereinigung von Staat, Gesellschaft, Kultur und Religion bringen würde und dem die Zukunft gehöre, und sein Kollege Ernst Forsthoff veröffentlichte bald eine gleichnamige Monografie. Unterdessen fand der Totalitarismusbegriff in Italien Eingang in die allgemeine innenpolitische Auseinandersetzung. So setzte etwa die katholische Volkspartei um Luigi Sturzo (1871–1959) unter Verwendung des Begriffs die Lager der Faschisten und Kommunisten gleich, da beide die parlamentarische Demokratie ablehnten.

Die französische Philosophin Simone Weil schrieb 1934:

Zitat

Es erscheint ziemlich klar, dass die heutige Menschheit ein wenig überall zu einer totalitären Form der sozialen Organisation tendiert, um den Begriff zu verwenden, den die Nationalsozialisten in Mode gebracht haben, d. h. zu einem Regime, in dem die Staatsmacht in allen Bereichen souverän entscheidet, sogar und vor allem im Bereich des Denkens.

Im November 1939 veranstaltete die American Philosophical Society ein erstes Symposium zum Totalitarian State, auf dem der US-amerikanische Historiker Carlton J. H. Hayes die historische Neuartigkeit des Totalitarismus gegenüber älteren Formen diktatorischer Herrschaft betonte. Franz Borkenau stellte 1940 in seinem Werk The Totalitarian Enemy eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und Bolschewismus vor.

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939–1945) wurde der Begriff ausschließlich mit negativer Konnotation verwandt. Unterschiedliche Publizisten verglichen Nationalsozialismus und Stalinismus und bezeichneten beide als totalitäre Regimes. Andere lehnten die Verwendung des Wortes Totalitarismus ohne tiefere Reflexion als Ausdruck des Kalten Krieges ab.

Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper versuchte 1945 zu zeigen, dass die Ideen, die wir heute totalitär nennen, einer platonischen Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung sei wie unsere Zivilisation selbst.

Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus war der Schriftsteller George Orwell, der schon im Jahre 1949 in seinem Roman 1984 spätere Erkenntnisse anderer Publizisten auf fiktiver Ebene vorwegnahm. Laut Hannah Arendts 1951 publiziertem Buch The Origins of Totalitarianism ist die Rolle des Terrors das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System.

Der israelische Historiker Jacob Talmon (1916–1980) betonte in seinem 1955 publiziertem Buch, dass sich auch ein demokratischer Rechtsstaat zu einer „totalitären Demokratie“ entwickeln kann.

In seinem 1968 publiziertem Buch hat der französische Soziologe Raymond Aron (1905–1983) fünf Kriterien für ein totalitäres Regime aufgestellt:

  • Ein Einparteienstaat, in dem eine Partei das Monopol auf alle politischen Aktivitäten hat.
  • Eine von der herrschenden Partei vertretene Staatsideologie, die als einzige Autorität anerkannt wird.
  • Ein staatliches Informationsmonopol, das die Massenmedien zur Verbreitung der offiziellen Wahrheit kontrolliert.
  • Staatlich kontrollierte Wirtschaft mit großen Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle.
  • Ideologischer Terror, der wirtschaftliche oder berufliche Handlungen zu Verbrechen macht. Wer dagegen verstößt, muss mit strafrechtlicher Verfolgung und ideologischer Verfolgung rechnen.

2003 prägte der Politikwissenschaftler Sheldon Wolin in einem Zeitungsartikel den Begriff Inverted Totalitarianism (deutsch: Umgekehrter Totalitarismus). In seiner Monografie Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism systematisierte er 2008 seine Darstellung. Demnach ist mit dem Streben nach Superpower und dem Management von Demokratie in den USA eine postdemokratische Regierungstechnik entstanden sei, die Elemente der liberalen Demokratie, mit denen totalitärer politischer Systeme verbindet.

Der deutsche Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge sagte 2007, der Machtanspruch des Neoliberalismus als dominante Ideologie des Kapitalismus sei total und universell. Aus dem homo sapiens werde ein homo oeconomicus.

Wissenschaftler wie der syrisch-deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi (* 1944), vertreten seit Anfang der 2000er Jahre die These, dass islamistische Systeme und Bewegungen eine gegenwärtige Erscheinungsform totalitärer Herrschaftsansprüche darstellen.

Der deutsche Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Eckhard Jesse grenzte in seinem 2008 publiziertem Buch den Totalitarismus einerseits vom demokratischen Verfassungsstaat ab, dessen Gegenteil er sei, andererseits von der autoritären Diktatur und allen älteren Formen des Autoritarismus.