Besiedlung Amerikas

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Unter der Besiedlung Amerikas wird im Allgemeinen die Besiedlungsgeschichte des amerikanischen Kontinents verstanden, das heißt die Geschichte der Einwanderungen im Unterschied zu bloßen Entdeckungen Amerikas ohne Niederlassungen. Sie ist unter Linguisten, Archäologen, Anthropologen, Genetikern und Ethnologen nach wie vor viel diskutiert, vor allem der Zeitpunkt, aber auch die Route. Nach gesichertem Forschungsstand gab es am Ende der letzten Eiszeit – in Nordamerika als Wisconsin glaciation (Wisconsin-Eiszeit) bezeichnet – vor nicht mehr als 15.000 Jahren mehrere Einwanderungswellen aus Sibirien. Ältere Datierungen von Funden sind wissenschaftlich umstritten.

Genetische Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Vorfahren der rezenten Amerikaner den Kontinent frühestens vor 18.000 Jahren erreicht haben. Für ihre Abschätzung hatten die Forscher bestimmte Regionen des Y-Chromosoms bei der heutigen amerikanischen Urbevölkerung untersucht. Hier entdeckten sie eine Mutation, die auch heutige Asiaten tragen, die vermutlich vor 18.000 Jahren im menschlichen Erbgut auftrat. Die Trennung zwischen Asiaten und Amerikanern müsste demnach später erfolgt sein.

Theorien zur Erstbesiedlung[Bearbeiten]

Seit den 1930er Jahren und der Entdeckung der Clovis-Kultur gingen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass die Erstbesiedlung Amerikas nach Ende der Eiszeit vor 11.500 bis 10.000 Jahren über die Beringia-Landbrücke erfolgte. Anhand von Radiokohlenstoffdaten sind gesicherte Funde des so genannten Nenana Complex in Alaska auf bis zu 11.500 BP datiert. Noch ältere Datierungen wurden im Jahre 2011 von Ausgrabungen an der „Debra L. Friedkin Site“ in Texas bekannt, wo Fundschichten mit Steinwerkzeugen zwischen 15.500 und 13.200 Jahren vor 1950 datiert wurden. Obwohl damit die Frage der Einwanderung über Alaska archäologisch nicht direkt belegt ist, ist der „Beringiakorridor“ nach wie vor die allgemein anerkannte Theorie zur Besiedlung des amerikanischen Kontinents.

Heute tendieren Anthropologen und Archäologen gestützt auf sowohl genetische Analysen wie linguistische Untersuchungen, zu mindestens drei Einwanderungswellen von Sibirien her:

  • Die erste und mit Abstand bedeutendste Welle, im späten Pleistozän am Ende der Eiszeit vor rund 15.500 Jahren, als noch Mammuts, Pferde und Riesenfaultiere den Kontinent bevölkerten.
  • Die zweite Welle brachte die Vorfahren der Na-Dené-Indianer, die sich vor allem in Alaska und im westlichen Kanada niederließen. Einige Gruppen, die Vorfahren der Diné- und Apachen-Indianer, zogen im Laufe der Jahrtausende bis in den Südwesten der heutigen USA.
  • Mit der dritten Welle trafen die Vorfahren der Eskimos, Unungun und Yupik in Alaska ein.

Manche Wissenschaftler nehmen aufgrund linguistischer Analysen zwischen der ersten und der Na-Dené-Welle eine weitere Welle an, mit der die Vorfahren der Algonkin nach Amerika kamen.

Weitgehend anerkannte Theorien[Bearbeiten]

  • Die Beringstraße-Theorie: Diese Theorie ist die einzige, für die es reichlich archäologische Belege gibt und die daher von den meisten Wissenschaftlern vertreten wird. Sie besagt, dass während der letzten Eiszeit oder erst gegen Ende der Eiszeit, d. h. vor mindestens 11.500 Jahren (höchstens vor 35.000 Jahren) aus Ostasien kommende Jäger und Sammler erstmals den amerikanischen Kontinent betraten. Dort, wo sich heute die Beringstraße befindet, gelangten sie über eine breite Landbrücke (Beringia), die durch den niedrigen Wasserstand während der letzten Eiszeit entstanden war, auf den damals noch menschenleeren Kontinent. Sie wurden aber durch den Laurentidischen Eisschild und die Gletscher der Coast Mountains daran gehindert, vom damals weitgehend eisfreien Alaska weiter nach Süden zu wandern. Erst vor rund 11.500 Jahren öffnete sich ein eisfreier Korridor zwischen den vergletscherten Coast Mountains und dem Laurentidischen Eisschild im heutigen Territorium Yukon. Rund tausend Jahre später trafen die ersten Gruppen an der Südspitze Südamerikas ein. Jüngere Forschungsergebnisse lassen aber vermuten, dass der Korridor erst später für einen Transit nutzbar wurde.
  • Die Küsten-Theorie: Gemäß dieser Theorie breiteten sich Seefahrer vor 15.000 bis 13.500 Jahren von Japan und Südostsibirien her kommend entlang der damals schon eisfreien Aleuten und der amerikanischen Westküste aus und besiedelten schließlich den gesamten Kontinent bis zur Südspitze von Feuerland. Zwar herrschten damals bis zum erneuten Kälteeinbruch der Jüngeren Dryas schon fast warmzeitliche Klimaverhältnisse, der Nachweis einer frühen Küstenbesiedlung ist aber problematisch, da vor 15.000 bis 13.500 Jahren der Meeresspiegel wesentlich tiefer lag als heute. Eventuelle Fundstellen lägen unter Wasser.
  • Eine Kombination von Beringstraße- und Küsten-Theorie hält eine erste – schwache – Einwanderung entlang der Küste vor höchstens 15.000 Jahren für wahrscheinlich, gefolgt von einer weit stärkeren Einwanderung vor rund 11.500 Jahren. Mit dieser kombinierten Theorie lassen sich am ehesten alle archäologischen, anthropologischen und genetischen Untersuchungen in Einklang bringen.

Zahlreiche Funde in Sibirien und Amerika sprechen sowohl für die Beringstraßen-Theorie als auch für die Küsten-Theorie. Um die zeitliche Differenz zwischen dem Aufbruch in Asien vor rund 25.000 Jahren und dem Eintreffen der ersten Menschen in Amerika vor etwa 15.000 Jahren zu erklären, wird ein langer Aufenthalt im Bereich von Beringia diskutiert. Als Grund für den verzögerten Zug gelten die starke Vergletscherung in Amerika und die besondere Eignung Beringias für eine menschliche Besiedelung, weil durch klimatische Faktoren dort eine Tundra-artige Vegetation vorherrschte, die insbesondere Bäume und damit Feuerholz bot.

Große Verunsicherung entstand 1996 durch den Fund des Kennewick-Mannes im US-Bundesstaat Washington. Der Kennewick-Mann ist ein auf etwa 7300 v. Chr. (8410 ± 60 uncal. BP) datiertes Skelett, dessen Merkmale anfänglich als „kaukasoid“, also europäisch, gedeutet wurden. Spätere Untersuchungen sahen eine Vergleichbarkeit mit den Ainu, den Ureinwohnern Japans. 2015 waren erstmals DNA-Analysen möglich, die zeigten, dass der Kennewick-Mann weder besonders mit Europäern noch nahe mit den Ainu verwandt ist, sondern am nächsten mit heutigen Vertretern westamerikanischer Indianerstämme.

Die genetische Verwandtschaft der Ureinwohner Amerikas mit den menschlichen Populationen aus Ostasien ist unumstritten. Sie wurde z.B. 2009 durch eine japanische Genstudie umfassend untersucht. Daraus geht hervor, dass einige Vorfahren von drei Stämmen der südamerikanischen Indianer im Amazonas mit den heutigen australischen Aborigines verwandt waren. Ähnliches gilt für manche nordamerikanischen Ureinwohner, die neben den ostasiatischen Genen auch Merkmale aus frühen Einwanderungswellen aufweisen: Hier bestätigte sich die genetische Verwandtschaft zu den Ainu (vor dem japanischen Genzufluss) und nordostsibirischen Ethnien.

In den Jahren 2002/03 wurden in den Paisley-Höhlen (US-Bundesstaat Oregon) versteinerte Exkremente mit menschlicher aDNA gefunden, die 14.300 Jahre alt sind und deren Gene Gemeinsamkeiten mit Menschen aus Sibirien aufweisen. Diese Tendenz wurde durch die Funde im Buttermilk Creek Complex in Texas bestätigt, die 2011 auf ein Alter von 15.500 bis 13.200 Jahren BP datiert wurden und damit die bislang ältesten menschlichen Funde in Amerika sind. Andere Fundstellen, deren Alter mit mehr als 13.000 Jahren angegeben wurde, wie Steingeräte in den USA oder vermeintliche menschliche Fußabdrücke in Mexiko, haben einer Überprüfung dagegen nicht standgehalten.

Eine 2010 publizierte Studie konnte zeigen, dass sich die spätpleistozänen Bewohner Nordamerikas (Paläoindianer) in morphologischen Merkmalen des Schädels deutlich von den Indianern jüngeren, präkolumbischen Alters unterscheiden. Erstere entsprechen Funden des Shandingdong-Menschen in Zhoukoudian und Melanesiern, die späteren sind enger mit heutigen Asiaten verwandt. Die Verfasser schließen daraus auf zwei Besiedlungswellen, deren letzte gemeinsame Vorfahren in Asien gelebt haben.

Die bislang umfangreichsten Analysen von genetischen Merkmalen der amerikanischen Ureinwohner wurden 2012 publiziert: Sie stützen die Drei-Phasen-Theorie der Einwanderung über Beringia und bestätigen damit frühere genetische, morphologische und linguistische Theorien. Untersucht wurden 364.470 einzelne genetische Merkmale von Angehörigen aus 52 Völkern in allen Teilen des amerikanischen Doppelkontinents, 17 Volksgruppen der östlichen Teile Asiens und weiteren 57 Bevölkerungen in anderen Teilen der Erde als Vergleichsmaterial. Einflüsse von Europäern und Afro-Amerikanern wurden aus den Daten der Indianer herausgerechnet und anschließend ein Neighbor-Joining-Algorithmus angewendet, um Verwandtschaftsgrade zu bestimmen. Der so entstandene Baum gibt mit wenigen Abweichungen die geographische Verteilung der Völker von Sibirien über Alaska und weiter von Nord nach Süd wieder, deckt sich also mit einer direkten und schnellen Ausbreitung der Menschen auf dem amerikanischen Doppelkontinent nach Süden. Abweichungen gibt es in Mittelamerika, wo sie auf sekundäre Bewegungen innerhalb dieses Raumes in rückläufiger Richtung hinweisen. Aus diesem Muster fallen zwei Gruppen heraus: Die Chipewyan passen nur zu 90 % in dieses Schema, so dass die Analysten von einer zweiten Welle von Einwanderern ausgehen, die direkt über den eisfreien Korridor zwischen dem Laurentidischen Eisschild und den vergletscherten Küstengebirgen in das Zentrum Nordamerikas und die späteren Prärie-Regionen vorgedrungen sind. Und die Bewohner der nordamerikanischen Arktis decken sich nur zu 57 % mit den genetischen Daten der ersten Einwanderer, so dass hier die dritte Welle anzunehmen ist.

Genetische Untersuchungen an 92 Individuen aus der Zeit vor 8600 bis 500 Jahren in Südamerika und Mexiko belegten 2016, dass die Küstengruppe sich ab 14.000 v. Chr. binnen 1400 Jahren bis nach Chile ausbreitete. Außerdem ließ sich zeigen, dass die Vorfahren der Zuwanderer den Kontakt zur sibirischen Bevölkerung zwischen 23.000 und 16.400 v. Chr. verloren.

Genetische Analysen eines Homo sapiens aus dem Jungpaläolithikum mit einem Alter von etwa 24.000 Jahren, dessen Knochen am Baikalsee gefunden wurden, erlauben eine Einordnung der Zuwanderer nach Amerika in die Populationen Eurasiens. Demnach stammen die Ureinwohner Amerikas von einer Bevölkerung ab, die im Norden Eurasiens lebte und sich erst nach der Abspaltung der späteren Amerikaner auch nach West-Europa ausgebreitet hat. Die Analysen lassen die Richtung der genetischen Verbreitung eindeutig festlegen, so dass damit einzelne Übereinstimmungen des Genoms von amerikanischen Ureinwohnern mit der DNA von Europäern erklärt werden können.

Weitere Hinweise auf die Ausbreitung des Menschen in Nordamerika ergeben sich aus einer vergleichenden Datierung von Projektilspitzen verschiedener Typen. Erst seit dem 21. Jahrhundert liegen aus den Paisley-Höhlen datierbare Funde von so genannten Western stemmed points vor, die im Großen Becken und anderen Teilen der Region zwischen den Rocky Mountains im Osten und den pazifiknahen Küstengebirgen im Westen liegen. Sie wurden jetzt als gleichzeitig mit den im ganzen Osten Nordamerikas verbreiteten Clovis-Spitzen erkannt. Demnach hätte eine Einwandererwelle entlang der Küste andere Werkzeuge entwickelt als die Einwanderer in den östlichen Teilen des Kontinents.

Mitte 2015 erschienen zeitgleich zwei Studien in Science und Nature, die sehr kleine DNA-Anteile von Australo-Melanesiern in manchen amerikanischen Ureinwohnern im Amazonas nachwiesen. Beide kommen aber zu unterschiedlichen Interpretationen über die Herkunft dieser DNA-Anteile. Die Nature-Studie stellt Hinweise dar, dass drei Stämme aus dem Amazonasgebiet, die eine Ge-Sprache sprechenden Xavante und die Tupí-Sprachen sprechenden Surui und Karitinana, genetisch nah mit den australischen Aborigines und den Melanesiern verwandt sind. Diese Verbindung hätte demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Kontakt zwischen der amerikanischen Urbevölkerung und Europäern und der in den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach folgenden Einbeziehung Amerikas in globale Migrationsströme stattgefunden. Demgegenüber beschreibt die Science-Studie die traditionelle Verbreitung der amerikanischen Ureinwohner, kann diese aber besser als bisher datieren. Sie findet einen kleinen Anteil von australo-melanesischer DNA sowohl im Amazonasgebiet wie auf den Aleuten in lebenden Nachfahren von Ureinwohnern. Allerdings finden die Autoren diese Herkunft nicht in der erstmals untersuchten aDNA aus Knochen von 17 Menschen aus bereits vor mehreren Jahrhunderten ausgestorbenen Bevölkerungsgruppen, deren ungewöhnliche Kopfformen erst den Verdacht einer Nähe zu Australo-Melanesiern aufkommen ließ. Daher kommen sie abweichend von der Nature-Studie zum Schluss, dass die australo-melanesische DNA erst in jüngerer Zeit durch historische Kontakte in die amerikanische Bevölkerung eingebracht wurde.

Neuere Datierungen der Funde in den Bluefish-Höhlen im Grenzgebiet zwischen Alaska und dem kanadischen Yukon-Territorium mit einem Alter von 24.000 Jahren cal B.P. bestätigen 2016 eine schon vorher diskutierte Theorie, nach der die ersten Menschen auf dem amerikanischen Kontinent schon auf dem Höhepunkt der letzten Vereisung nach Beringia eingewandert sind. In der Kombination mit schon bekannten genetischen Daten lässt sich annehmen, dass eine kleine, genetisch isolierte Bevölkerung mit nur rund 1000 bis 2000 Frauen für einige tausend Jahre in Alaska und unmittelbar benachbarten Regionen lebte. Erst vor etwa 15.000 Jahren hätten sich die Menschen dann nach Süden verbreitet, wobei der eisfreie Korridor zwischen den vergletscherten Küstenbergen und dem Laurentidischen Eisschild erst gegen 13.000 cal B.P. passierbar gewesen sein dürfte. Eine Ausdehnung entlang der Küste könnte schon früher erfolgt sein, vielleicht sogar schon um 16.000 cal B.P.