Direkte Demokratie in Deutschland

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Elemente der direkten Demokratie wurden in Deutschland erstmals in der Weimarer Republik eingeführt. Auf Reichsebene fanden lediglich drei Volksbegehren statt. Nur dasjenige zur Fürstenenteignung und das Volksbegehren gegen den Young-Plan schafften es bis zum Volksentscheid, beide konnten die für Verfassungsänderungen erforderliche Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten nicht erreichen.

In der Bundesrepublik sind direktdemokratische Verfahren auf der Bundesebene schwach ausgeprägt. Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes betont die Volkssouveränität und bestimmt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt.“ Während sich „Wahlen“ immer auf Personalentscheidungen beziehen, stellen „Abstimmungen“ unmittelbare Entscheidungen des Staatsvolkes über Sachfragen dar. Dennoch sieht das Grundgesetz nur in zwei sehr eng eingegrenzten Fällen Volksabstimmungen vor: Zum einen bei der Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung, zum anderen im Falle einer Neugliederung des Bundesgebietes, bei dem lediglich die wahlberechtigten Bürger in den betroffenen Gebieten stimmberechtigt sind. Von diesen beiden Ausnahmen abgesehen, ist die Bundespolitik als reines Repräsentativsystem ausgestaltet.

Auf der Länderebene sind direktdemokratische Instrumente deutlich stärker verankert. Bei der Gründung der deutschen Bundesländer nach 1945 wurden acht Landesverfassungen per Referendum angenommen. Alle bis 1950 verabschiedeten Landesverfassungen enthielten direktdemokratische Verfahren, in acht davon war die Volksgesetzgebung verankert. Die später beschlossenen Verfassungen verzichteten darauf. Die Hürden für die Volksgesetzgebung wurden so hoch gezogen, dass es, von einigen Abstimmungen über Gebietsveränderungen abgesehen, erst 1968 in Bayern zu einem Volksentscheid kam. Außerhalb Bayerns gab es bis 1997 keinen einzigen. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik spielten nur obligatorische Verfassungsreferenden in Bayern und Hessen eine Rolle. Ab 1989/90 setzte eine neue Dynamik in der Entwicklung der direkten Demokratie auf Landesebene ein. Bis 1996 wurde die Volksgesetzgebung in alle Landesverfassungen aufgenommen. Das Gesetzgebungsverfahren ist bei Initiativen aus dem Volk auf Landesebene meist als dreistufige Volksgesetzgebung ausgestaltet, beginnend mit einer Volksinitiative beziehungsweise einem Antrag auf ein Volksbegehren, gefolgt vom Volksbegehren und abgeschlossen durch einen Volksentscheid. Die gesetzlichen Regelungen variieren dabei stark, von entscheidender Bedeutung sind die geforderten Quoren sowie Fristen und Themenausschlüsse. In Bayern sowie in jüngerer Zeit in Berlin und Hamburg finden Volksentscheide deshalb in nennenswerter Zahl statt, während die Hürden dafür in anderen Ländern als nahezu unüberwindlich gelten. Kaum eine Rolle spielen Referenden zu einfachen Gesetzen, die in manchen Ländern die Landesregierung oder der Landtag ansetzen kann.

Ebenfalls seit den frühen 1990er Jahren haben sich auf der kommunalen Ebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide überall durchgesetzt, die es bis 1990 nur in Baden-Württemberg gab. Zeitgleich setzte sich die Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten durch. Wahlen von Repräsentanten werden jedoch üblicherweise auch dann nicht zu den direktdemokratischen Verfahren gerechnet, wenn diese unmittelbar sind.

Die größten verfassungsrechtlichen Hindernisse für die Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene stellen im politischen System Deutschlands der Föderalismus und der in der Bundesrepublik besonders ausgeprägte Vorrang des Grundgesetzes dar. Die demokratietheoretischen Argumente unterscheiden sich in der deutschen Debatte nicht grundsätzlich von denen in anderen Ländern. Ablehnende Haltungen gegenüber der Einführung bundesweiter Volksentscheide werden aber häufig mit den „Weimarer Erfahrungen“ begründet, während positive Einstellungen oft mit einer Parteienkritik einhergehen oder auf diese reagieren.

Geschichte der direkten Demokratie in Deutschland[Bearbeiten]

Direktdemokratische Forderungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert[Bearbeiten]

Im Zeitalter der Restauration hatte die Rezeption radikaldemokratischer französischer, Schweizer oder amerikanischer Vordenker der direkten Demokratie in Deutschland keinen Platz. Das gilt auch für die wenigen verbliebenen, oligarchisch verfassten Stadtrepubliken. Im Vormärz artikulierten erstmals deutsche Vertreter der demokratischen Bewegung wie Moritz Rittinghausen, Julius Fröbel, Johann Jacoby und Hermann Köchly direktdemokratische Forderungen. Ihre Vorschläge hatten nach der Revolution von 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung jedoch selbst im Kreis der demokratischen Linken, der „Fraktion Donnersberg“, keine Chance. Die Liberalen hegten eine Abneigung gegenüber dem „Volk“ als einer von niederen Instinkten geleiteten Masse, das wie in der Französischen Revolution aufgehetzt werden könne und zu gewalttätigen Exzessen neige. Stattdessen fand das System der parlamentarischen Repräsentation nach britischem Vorbild breiten Anklang.

Erst als sich nach 1860 die Arbeiterbewegung in Deutschland formierte, fanden die Vorschläge Moritz Rittinghausens eine breitere Anhängerschaft und gingen 1869 in das Eisenacher Programm und 1875 in das Gothaer Programm der SPD ein. Im frühen 20. Jahrhundert begannen auch Vertreter des Linksliberalismus, direktdemokratische Verfahren in Erwägung zu ziehen.

Karl Marx und Friedrich Engels hatten eine Volksgesetzgebung mit Hinweis auf die Sozialstruktur und eine politische Unreife weiter Teile der deutschen Bevölkerung abgelehnt, die konservative und reaktionäre Kräfte begünstigt hätten.<ref name="Wiegand 38" /> Sie propagierten eine Rätedemokratie, die eine besondere Form demokratischer Direktheit darstellt. Ihr Hauptanliegen war die (Wieder-)Verschränkung von Wirtschaft und Politik im Sinne einer sozialistischen Produktionsgemeinschaft, die demokratietheoretischen Aspekte traten dahinter zurück. Umgesetzt wurde das Konzept kurzzeitig in den Räterepubliken nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution. Basisdemokratische und direktdemokratische Instrumente im Rätemodell waren Volksversammlungen, das imperative Mandat, die Anbindung gewählter Repräsentanten an den Volkswillen durch permanente Abwahlmöglichkeit und das Rotationsprinzip, Volksbegehren und Volksentscheid. Besonders die Münchner Räterepublik erlangte Bedeutung, wurde aber am 2./3. Mai 1919 nach nicht einmal einem Monat niedergeschlagen.

Quellen[Bearbeiten]

  • Frank Decker: Regieren im Parteienbundesstaat. VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17681-9, S. 165–216.