Patrilinearität

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Patrilinearität (lateinisch für „in der Linie des Vaters“), Väterlinie oder Vaterfolge bezeichnet die Vererbung und Übertragung von sozialen Eigenschaften und Besitz sowie des Familiennamens ausschließlich über die männliche Linie von Vätern an Söhne. Dabei erfolgt die Weitergabe von Verwandtschaftsbeziehungen, sozialen Positionen, Ämtern, Ansehen, Privilegien und Eigentum von einer Generation an die nächste einlinig nach der Abstammung des Mannes, die Linie der Frau und ihrer Mutter oder ihres Vaters bleibt ohne Bedeutung. Töchter werden in der väterlichen Erbfolge nicht berücksichtigt, da sie die Linie ihres Vaters nicht eigenständig fortsetzen können: Nach einer Heirat muss eine Tochter ihr Elternhaus verlassen und zu ihrem Ehemann ziehen (Patrilokalität). Gemeinsame Kinder werden dann zu seiner Familie gezählt und führen seine Linie weiter, nicht den Namen oder die Abstammungslinie der Ehefrau oder deren Eltern.

Die bekanntesten Formen der Patrilinearität sind „Stammlinien“, vor allem bei Adelsfamilien und Herrschergeschlechtern im europäischen Kulturraum. Eine Stammlinie besteht aus einer ununterbrochenen, immer ehelich legitimierten Vater-Sohn-Abfolge bis zurück zu einem „Stammvater“, dem ursprünglichen Gründer der Familie; eine solche Linie wird bisweilen als agnatisch bezeichnet,

Patrilinearität ist ein Begriff aus der Ethnosoziologie, um die Vorstellungen von Abstammung (Deszendenzregeln) und ihre Bedeutung für die soziale Organisation einer Gesellschaft zu untersuchen, vor allem bei ethnischen Gruppen und indigenen Völkern. Das direkte Gegenteil ist die Matrilinearität, bei der die Abstammung, Übertragung und Vererbung nur über die Linie der Mütter geregelt werden. Daneben gibt es gemischte Formen wie die auch in modernen Gesellschaften übliche beidseitige, kognatisch-bilaterale Herleitung der Abstammung von Vater und Mutter. Bei einigen wenigen Ethnien erben Söhne von ihren Vätern und Töchter von ihren Müttern (parallele Erbfolge).

Rund 50% der weltweit im Ethnographic Atlas erfassten 1300 ethnischen Völker ordnen sich nach ihrer Abstammung über die Linie des Mannes, seines Vaters, dessen Vaters (Großvater) und so fort aufsteigend. Diese reine Väter-Söhne-Linie orientiert sich zwar an Blutsverwandtschaft und biologischer Vaterschaft, muss aber nicht immer den Tatsachen entsprechen (siehe Kuckuckskinder), vor allem bei nur mündlich überlieferten Vorfahrengenerationen (siehe Herkunftssagen). Außerdem sind rechtliche Formen der Verwandtschaft möglich (Adoption, Vaterschaftsanerkennung). In fast allen patrilinearen Gruppen und Gesellschaften liegt nach einer Heirat der eheliche Wohnsitz am Ort des Ehemannes, meist bei seinem Vater, die Ehefrau muss hinzuziehen.

In der archäologischen Vererbungslehre (Archäogenetik) wurde über den „paternalen“ Erbgang des männlichen Y-Geschlechts-Chromosoms ein menschlicher Adam des Y-Chromosoms errechnet, der vor geschätzten 75.000 Jahren in Afrika lebte: Mit diesem Adam sollen alle heute lebenden Männer biologisch in direkter Linie verwandt sein.

Beschreibung[Bearbeiten]

Bei der patrilinearen Abstammungsfolge einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft entscheidet ausschließlich die männliche Linie der Vorfahren einer Person über ihre Gruppen­zugehörig­keiten mit entsprechenden Rechten und Pflichten. Diese Väterlinie verläuft in aufsteigender Folge über den Vater, dessen Vater (Großvater), wiederum dessen Vater (Urgroßvater) und so weiter zurück. Patrilineare Stammbäume beziehen sich mindestens auf den Ururgroßvater väterlicherseits, haben aber oft eine Tiefe von zehn und mehr Vorväter-Generationen. Väterlinien verstehen sich als „Blutlinie“, wobei in jeder Generation von Bedeutung ist, dass der Nachkomme einer legitimen Ehe entstammt (Ehelichkeit). Sonderregeln gelten für rechtliche Vaterschaften, beispielsweise durch Adoption oder Anerkennung eines Kindes.

Der alleinige Bezug auf die väterliche Abstammung bedeutet zwangsläufig, dass die männliche Abfolge absteigend nur über (eheliche) Söhne fortgeführt werden kann – Töchter können ihre eigene väterliche Linie nicht fortsetzen, weil ihre Kinder (Enkel) zur Familie ihres Ehemanns zählen, seinen Familiennamen tragen und seine Linie weiterführen, nicht aber die Linie der Mutter oder ihres Vaters. Fast immer muss die Ehefrau nach der Heirat zum Ehemann oder seiner Familie ziehen (Patrilokalität), oft geht dabei der soziale Status und mögliches Eigentum der Ehefrau an den Ehemann über. Folglich wird es zum Ziel jedes Mannes, innerhalb einer Ehe einen männlichen „Stammhalter“ zu zeugen, der wiederum einen legitimen männlichen Nachkommen zeugt, und so fort, ansonsten würde sein Zweig des väterlichen „Stammbaums“ enden. Von Ehefrauen wird das Gebären vieler Söhne erwartet, damit zumindest einer überlebt, wobei oft der Erstgeborene oder zumindest älteste Sohn bevorzugt wird (Erbfolgeprinzip der Primogenitur).

Zitat
Eine Tochter erbt kein Land von ihrem Vater, außer wenn sie keine Brüder hat, wenn sie eine Erbtochter (Frau-Erbe) ist, und auch dann nur auf Lebenszeit. - Josef Weisweiler, Die Stellung der Frau bei den Kelten

Patrilinearität ist ein soziales Konstrukt, eine gedankliche Vorstellung, die Angehörige einer Gruppe oder Gesellschaft von ihrer Herkunft (Aszendenz) haben. Das geltende Abstammungssystem (Deszendenz) wirkt als soziale Norm und regelt, wen ein Mensch zu seiner Verwandtschaft zählt und wen nicht, wen er heiraten darf und wen nicht, sowie von wem er erben und an wen er vererben wird.

In der Fachliteratur sowie im internationalen Gebrauch werden die Bezeichnungen oft mit Bindestrich getrennt: Patri-Linearität, Patri-Lokalität, Patri-Lineage und Patri-Clan, um sie im Textzusammenhang leichter zu unterscheiden, auch von mütterseitigen Matri-Wortverbindungen.

Agnation

Eine rein patrilineare Vererbungsfolge wird bisweilen als agnatisch bezeichnet, ein Begriff aus dem alten römischen Recht für ausschließlich männliche Blutsverwandte, die Agnaten (lateinisch agnatus „der Hinzu-/Nachgeborene“), die sich in einer ununterbrochenen männlichen Väterlinie von einem gemeinsamen Stammvater herleiten. Die Agnation war Teil der römischen Vorstellung von „väterlicher Gewalt“ (Patria Potestas) und betrachtete Frauen und männliche Seitenverwandte als nur „kognatisch“ (lateinisch „mitgeboren“), sie gehörten nicht zum „Mannesstamm“ (siehe auch Ehe im Römischen Reich). Agnatisch gesehen ist ein Sohn nicht mit den Schwestern seines Vaters (Tanten) verwandt, streng genommen nicht einmal mit seinen eigenen Schwestern. Gute Beispiele für Agnation liefern die beiden erfundenen „Stammbäume von Jesus Christus“ in den biblischen Evangelien: reine (Erbsohn-)Vater-Abfolgen über bis zu 78 Generationen; die vier Stammmütter sind die einzigen Frauen, werden aber nur erwähnt, weil Agnaten ohne Erbsohn starben (siehe Erbtochter).

Diese Sichtweise von Frauen als kognatisch unterscheidet die Agnation von anderen patrilinearen Systemen, bei denen auch die Töchter als Mitglied der patrilinearen Abstammungsgruppe gelten, wobei aber nur die männlichen Mitglieder der Patri-Linie die Mitgliedschaft in der Linie an ihre Nachkommen weitergeben können, auch an ihre Töchter.

Patriarchat

Im Unterschied zur extrem patriarchalisch geprägten Rechtsvorstellung der Römer ist Patrilinearität nicht zwingend mit gesellschaftlicher Herrschaft verbunden, für diese bildet sie allerdings eine Grundlage. Zu unterscheiden ist auch, ob Patrilinearität als „Väterfolge“ bei einzelnen sozialen Gruppen oder bei ganzen Gesellschaften untersucht wird, und ob geschichtliche Völker untersucht werden oder gegenwärtige Ethnien und indigene Völker.